Iron Harvest
Iron Harvest
17.10.2020
Schlechte Saat, gute Ernte
Ein Spiel, auf das ich mich seit langem gefreut habe, ist Iron Harvest. Ein frisches, unverbrauchtes Setting mit Mechs im 1. Weltkrieg? Dazu eine gute Solo-Kampagne und Taktikaction à la Company of Heroes? Was will ich mehr? Deshalb steht das Game auch ganz weit oben auf meiner „Zocke ich wenn’s billiger ist“-Liste. Um die Wartezeit zu verkürzen, habe ich schon in den Soundtrack reingehört. Der stammt von den erfahrenen polnischen Komponisten Adam Skorupa (The Witcher, The Witcher 2: Assassins of Kings), Krzysztof Wierzynkiewicz (The Witcher 2: Assassins of Kings) & Michal Cielecki (Sniper: Ghost Warrior 2), die meiner Meinung nach bisher immer solide Musik abgeliefert haben. Warum das auch dieses Mal der Fall ist, ich aber trotzdem enttäuscht war, erkläre ich euch jetzt.
Rein optisch kommt der Soundtrack bereits sehr adrett daher: 22 Tracks, kurze griffige Namen und multilinguale Titel, mal auf Englisch, selten auf Polnisch, lassen das Setting des Spiels bereits erahnen. Namen wie The Price We Pay oder The Fog of War signalisieren Krieg und Strategie, ich verspreche mir schnelle Actiontracks, Ambientmusik und auch mal die ein oder andere traurige Weise. Kennt man alles so oder so ähnlich auch von den großen Brüdern Command & Conquer oder eben Company of Heroes, was ja nichts Schlechtes ist.
Der Einstieg gelingt dem OST bravourös. Overture for a New World macht seinem Namen alle Ehre, die Musik vermittelt uns ein Bild von Grandeur, von Weite und Abenteuer. Der stete Takt der Streicher und Percussions suggeriert maschinelle Uniformität, einen strammen Marsch, der begleitet wird von Bläsern und in einer fast schon Blizzard-typischen Manier Atmosphäre erzeugt – klasse! Eine Overtüre eines Sid Meier’s Civilization VI (Sogno di Volare (The Dream of Flight)), das den hoffnungsfrohen Ausblick auf die Menschheit durch Militärepos Marke Empire Earth ersetzt hat. So muss sich der Einstieg in ein brachiales Strategiespiel anhören!
Meine Erwartungen sind also auf einem hohen Niveau und werden über weite Strecken von dem OST erfüllt: Mal gibt’s getragene, Streicher betonende Tracks wie Polania Victrix oder Butterfly, die angenehm an John Williams Arbeit in Schindlers Liste erinnern. Dann haben wir wieder Brachialo-Action in „Iron Flood oder dem bereits erwähnten The Fog of War und irgendwie beschleichten uns hierbei stets das Gefühl, das irgendwie schon zu kennen. Der Soundtrack zu Iron Harvest reiht sich nahtlos in die Tropen und, böse formuliert, Klischees von (Welt-)Kriegs-Scores ein, wie 1917 von Thomas Newman, oder stellt sich auf der anderen Seiten stramm neben die bereits viel zitierte Company of Heroes-Reihe der Starkomponisten Jeremy Soule, Inon Zur und Cris Velasco.
Dabei ist es weniger störend, dass sich narrativ an klassischen Motiven bedient wird: Was den Schotten der Dudelsack, ist den Russen der Männerchor. Und deshalb verwundert es nicht, dass uns auch in Iron Harvest kernige Männerstimmen bei Mother Rusviet entgegendröhnen. Die Besetzung bestimmter Themen mit gelernter Instrumentierung stellt für mich hier kein Kritikpunkt dar. A Red Army Rising (Company of Heroes 2) ist eine fantastische Ode an kommunistische Kriegstreiber, ebenso wie das Russian Theme aus Call of Duty: World at War. Sie alle stellen eine stereotype Darstellung, eine überhöhte Idealisierung dar.
Das kann man kritisieren, schließlich lassen sich ganze Nationen und Volksgruppen nicht auf ein Instrument herunterbrechen (mit Ausnahme der Griechen natürlich – Bouzouki!). Trotzdem ist das Abrufen von gelernten Tropen für Komponisten eine rechte und billige Möglichkeit des Worldbuildings, was gerade bei einem zwar fiktiven, gleichwohl jedoch an die Realität angelehnten Szenario praktisch daherkommt. Die Fraktionen des Spiels entsprechen ihren historischen Vorbildern, die es in dieser Form hätte gegeben haben können. Deshalb stört es mich nicht, wenn Pride of Saxony nach deutscher Militärkultur à la Radetzky-Marsch klingt, oder eben das Y-Chromosom rumbrüllt, sobald es um Mütterchen Russland geht.
Was mich indes stört, ist, dass die mutigen Ansätze des eigentlichen Spiels, ein fiktiver Zeitstrang mit Steampunk-Elementen, scheinbar kaum Anwendung in den Kompositionen fanden. Denn die große Stärke des Scores ist auch gleichsam seine größte Schwäche. Es ist die erwartbare Ausgestaltung des Inhalts, die ihn aufgrund der hohen Qualität in dieselbe Riege mit thematisch deckungsgleichen Spielen stellt, gleichzeit aber auch in krassem Kontrast zur eigentlichen Narrative von Iron Harvest steht: „Stell dir vor es ist 1. Weltkrieg, aber mit Mechs!“ Das ist der USP des Spiels, das macht es außergewöhnlich und spannend. Und gerade, wenn man ein fiktives Szenario bemüht, darf man meiner Meinung nach nicht in die Gemütlichkeitsfalle treten, sondern muss sich vom Pfad der Konvention abwenden und etwas mutiger sein.
So hatte ich ehrlich gesagt wie beim Schleichhit Thief mehr Steampunk-Einflüsse erwartet, noch mehr Aspekte von Fremdkörpern. Im Spiel sind das die riesigen Mechs, ehrfurchtgebietende, dampfbetriebene Kriegsmaschinen. Jetzt kann man natürlich darüber streiten, wie diese musikalisch hätten umgesetzt werden sollen. Nur weil es nach Zukunftsmusik klingt, machen zum Beispiel Synthies nicht alles besser oder futuristischer. Und das Szenario von Iron Harvest ist nicht so antichronistisch, dass es das brauchen würde. Beispiele wie Tesla’s Nightmare oder Project Icarus zeigen mit ihren leichten Distortions hingegen, was möglich gewesen wäre. Ein Hauch weniger klassisch, ein bisschen mehr Mut und Iron Harvest hätte auch akustisch aus der Masse herausstechen können. So aber bleibt es ‚nur‘ ein guter, bisweilen sehr guter Soundtrack, der im Gegensatz zum Spiel zu wenig wagt.
Nostalgiewarnung
Die Wertung der einzelnen Tracks ist rein subjektiv und durch meine eigene Erfahrung mit dem Spiel deutlich gefärbt. Mehr dazu findest du in dem Artikel Über Nostalgie.





