Independence War 2: Edge of Chaos
Unendliche Weiten
Der Unabhängigkeitskrieg hat seine Früchte getragen und die interstellare Regierung wurde durch die Piraterie zum Kollaps gebracht. An ihre Stelle treten nun aber riesige Konsortien, die ihrerseits mit eiserner Hand regieren. Wir spielen Cal Johnston, dessen Vater im Intro von einem Rich-Kid ermordet wird, bevor wir ins Gefängnis wandern. 15 Jahre später kommen wir frei und möchten uns natürlich rächen. Klingt belanglos und ist es auch. Die Story könnte man also getrost ignorieren, wenn an das Erfüllen bestimmter Abschnitte nicht auch unser Fortschritt gekoppelt wäre.
Und der ist wichtig, denn die große Stärke von Edge of Chaos ist die Freiheit, alles tun und lassen zu können, worauf wir Lust haben. Sollen wir einen Konvoi überfallen, dem wir eigentlich heillos unterlegen sind? Suchen wir uns stattdessen lieber einzelne Frachter, die weniger Ladung dabeihaben, um uns langsam hochzumausern? Oder fliegen wir einfach selber Waren von A nach B, um so unser Schiff besser auszurüsten?
Es war dieses Füllhorn an Möglichkeiten, dieses gigantische Universum und natürlich die für jene Zeit fantastische Grafik, die meinen Bruder und mich damals absolut gehookt hat. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich teilweise Stunden neben ihm gesessen habe (oder umgekehrt), um Kopilot zu spielen, wie ich ihn Monitoranzeigen hingewiesen, oder einfach nur bei den packenden Weltraumkämpfen mitgefiebert habe.
Denn die waren ebenfalls großartig! Grund hierfür war die Physik, die dafür sorgte, dass Raumschiffe nicht arcadig schnelle Wendemanöver hinlegten, sondern Newtons erstem Gesetz der Trägheit gemäß bis in die Unendlichkeit weiterdrifteten, wenn man nicht gegensteuerte. Dadurch wurde jedes Scharmützel zur echten Skillprobe, und die Freude, einen Gegner ausmanövriert zu haben oder eine scheinbar unmögliche Konfrontation heile zu überleben, war einfach göttlich.
Und natürlich dabei zuzusehen, wie unser Frachtpilot Jefs die gestohlene Waren verlädt und zur Basis fliegt – teilweise sogar mehrfach, je nach Größe des Raubzugs. Mit etwas Pech konnten sogar andere Piraten oder die Polizei während der Wartezeit auftauchen, die uns unser frisch erbeutetes Gut streitig machen wollten. Da musste dann entschieden werden, ob man sich dem Kampf stellt oder was man selber noch schnell mitnehmen kann.
Ironischerweise ist Edge of Chaos damit fast schon ein Weltraum-Dark Souls, da wir im Grunde stundenlang durch die Gegend fliegen können, ohne etwas zu erreichen. Denn schaffen wir es zum Speichern nicht zurück zur Basis, ist die Beute futsch. So überlegt man es sich zweimal, ob man nach dem gerade überfallenen Konvoi noch kurz einen Umweg fliegt, um die langen Reise- und Ladezeiten zu verzögern, weil ja die Gefahr besteht, dass man sich irgendwo verschätzt – sei es ein kleines Gefecht oder auch ein Andockmanöver – und alles verliert.
Diese Unbarmherzigkeit, gepaart mit der fehleranfälligen Technik sorgte dafür, dass vieles durch die ständigen Wiederholungen zur Routine wurde und wir das Spiel tatsächlich ‚gemeistert‘ haben – etwas, das heute wohl nur noch die wenigsten Games schaffen, ohne Abläufe künstlich zu erschweren und zu strecken. Wer also etwas Faszination für das Genre mitbringt, kann gerne mal reinschauen, auch wenn Kenner vermutlich bessere und zeitgemäßere Alternativen ausweisen können.
Darum soll es hier allerdings gar nicht gehen, denn eigentlich wollte ich etwas zum Soundtrack sagen, bevor ich mich in den Erinnerungen verloren habe. Vermutlich habe ich das alles gerade so vor Augen, weil ich mir währenddessen den Soundtrack auf die Ohrmuschel gelegt habe und wehmütig den verhallenden Klängen lauschte. Als Spiel von 2001 liegt natürlich kein richtiger OST vor, sondern ein Gamerip, den ich einfach kackendreist als Score bezeichnen werde.
Für ein Spiel, das potenziell unendliche viele Spielstunden besitzt, kommt die Musik von Christopher Mann mit 21 Tracks vergleichsweise sparsam daher. Tatsächlich kann ich mich gut daran erinnern, dass es immer mal wieder Momente gab, in denen ich nichts hörte, außer das Dröhnen der Schubdüsen und die Geräusche des HUDs. Umso mehr freute und fürchtete man sich dann, wenn die Musik aufspielte, denn das bedeutete meistens, dass jetzt etwas passieren würde.
Interessanterweise fallen bei meinen Wertungen nicht wie zu erwarten nur die Tracks mit dem unterschwelligen Hintergrundtönen hinten runter, wie sie bei den Tension und Ambient vorkommen, sondern teilweise ebenfalls die Action-Ableger. Ich vermute, es ist meiner Nostalgie geschuldet, dass ich hier mit zweierlei Maß messe, aber Stücke wie A2 Ambient, A4 Discovery und A1 Tension langweilen mit ihrem düster ominösen Streicher ebenso wie das generische Sci-Fi-typische Techno von 09 Unknown, A4 Action v2 und A4 Action.
Umgekehrt begeistert mich der Score indes mit Stücken wie das chillige Badlands, das Auf- und Abschwellen der Spannung in A1 Action v2 und das, einem Fahrenheit gleich, sehnsüchtig suchende A1 Theme mit seiner knarzenden Bratsche und seinen beruhigenden Beats. Vielleicht sind das auch einfach die Songs, die man beim Zocken häufiger hört, aber für mich funktioniert die Mischung hier besser als bei den zuvor genannten Beispielen.
Christopher Mann versteht es meinem Empfinden nach perfekt, die Tonalität einer Weltraumsimulation einzufangen, ohne sich der Pathetik eines Sternenbeobachters zu ergeben. Abseits der Technoklänge ist die Musik von Edge of Chaos entschleunigend, beruhigend. Wir sind ein winziger Fleck in der Unendlichkeit, wie in A1 Discovery, das mit der Wiederholung des Hauptmotivs auf der Geige eine fast schon Zen-artige Ruhe auslöst. Ein anderes Beispiel ist Options Menu, das mit seinen Synthie-Klängen wunderbar rhythmisch zur Gelassenheit ruft und dessen Hintergrundeffekte mich irgendwie an Star Trek: Armada 2 erinnern.
Besonders hervorheben möchte ich außerdem meinen Lieblingstrack aus dem Score, genannt A2 Theme. Das beginnt mit einem längeren Intro aus Streichern, die kurz aus ihrem immergleichen Takt retardieren, bevor sie erneut einsteigen, dieses Mal begleitet von einer einfachen Melodie auf dem Klavier. Ein wummernder Bass unterstützt die Weite der Akustik, später steigt auch noch ein Schlagzeug ein. Zum Ende hin flacht das Ganze etwas ab, aber bis dahin gefällt mir die Varianz dieses Stücks, seine Simplizität und einfach die Melodik.
Vermutlich ist der Kontrast, nicht nur zwischen der Stille im Spiel, bis die Musik aufspielt, sondern auch die Streicher und sanften Beats gegenüber den schnellen, adrenalinsteigernden Techno-Tracks Marke A1 Action, das Erfolgsrezept. Oder der Fokus auf das von den Bratschen gespielte Leitmotiv, das andauernd wiederkehrt und den ganzen Score zusammenhält. Für mich funktioniert die Musik einfach auf so vielen Ebenen, auch wenn nicht jedes Stück mitreißt – denn darum geht es nicht. Es ist ein meditatives Erlebnis, sofern man die Technolieder weglässt, und insgesamt ein echt guter (sogar BAFTA nominierter) Score für ein vergessenes Juwel der Weltraumsimulationen.
Nostalgiewarnung
Die Wertung der einzelnen Tracks ist rein subjektiv und durch meine eigene Erfahrung mit dem Spiel deutlich gefärbt. Mehr dazu findest du in dem Artikel Über Nostalgie.
Nr. | Titel | Interpret(en) | Bewertung |
---|---|---|---|
01 | A1 Theme | Christopher Mann | |
02 | Badlands | Christopher Mann | |
03 | Felix | Christopher Mann | |
04 | A2 Ambient | Christopher Mann | |
05 | A4 Discovery | Christopher Mann | |
06 | A1 Tension | Christopher Mann | |
07 | A2 Theme | Christopher Mann | |
08 | A1 Action v2 | Christopher Mann | |
09 | Unknown | Christopher Mann | |
10 | A4 Tension | Christopher Mann | |
11 | A4 Action v2 | Christopher Mann | |
12 | Unknown | Christopher Mann | |
13 | A1 Ambient | Christopher Mann | |
14 | A1 Action | Christopher Mann | |
15 | A2 Discovery | Christopher Mann | |
16 | A1 Discovery | Christopher Mann | |
17 | A4 Action | Christopher Mann | |
18 | Base Ambient 1 | Christopher Mann | |
19 | Base Ambient 2 | Christopher Mann | |
20 | Options Menu | Christopher Mann | |
21 | Badlands v2 | Christopher Mann |