Game Review,  MaybeGames

Vampyr

Erscheinungsdatum: 2018
Entwickler: Don’t Nod
Genre: Action-Rollenspiel
Spieldauer: 23 Stunden


Blutleere Prügelorgie mit fragwürden Spielentscheidungen

Endlich, endlich, endlich sind sie wieder im Kommen: Vampir-Spiele. Wie ein leergelaufener Spielspaß-Sauger warte ich seit Jahren auf ein gutes Game, das sich den düsteren Nachtschwärmern widmet. Klar, aus dem Fantasy-Kosmos sind sie nicht wegzudenken und waren auch nie unterrepräsentiert, aber gute Rollenspiele à la Vampires: The Masquerade – Bloodlines sind Mangelware. Stichwort Vampires: Da steht ja der neuste Teil wie ein Silberstreif am Gaming-Horizont und scheint die Erwartungen erfüllen zu können, die man an den Nachfolger des Kritikerlieblings stellen darf. Tatsächlich wollte ich mir in Vorbereitung auf das neuste Werk das Original von 2004 nachholen, das mir damals mit meinen zarten 12 Jahren nicht zugänglich war. Wollte, wohl gemerkt, denn leider habe ich das Spiel trotz Community-Patches mangels Nostalgiebrille kaum länger als acht Stunden ausgehalten. Zu träge, zu umständlich, einfach zu alt.

Da kommt doch Vampyr wie gerufen. Ein Rollenspiel von Don’t Nod, den Life is Strange-Machern, im viktorianischen London Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit dem Ausbruch der Spanischen Grippe versinkt die vom Weltkrieg gebeutelte Stadt im Chaos, auf den Straßen spielen sich bürgerkriegsähnliche Zustände ab. Die Prämisse: Wir sind Arzt und müssen abwägen, ob wir unsere Patienten heilen, oder an ihnen unseren Blutdurst stillen. Diese Entscheidungen zwischen Leben und Tod bestimmen auch den Zustand der Stadt, jeder ausgesaugte Bewohner kann den Distrikt weiter ins Chaos stürzen. Das klingt doch nach einem Garant für gute Unterhaltung, mit tiefergehenden Entscheidungen und einer packenden Story.

Augen auf beim Blutgesauf‘

Das Spiel beginnt wunderbar atmosphärisch. Unser Protagonist schlägt die Augen auf. Er liegt umgeben von Leichen, manche noch frisch, andere bis auf die Knochen verwest. Ein Massengrab. Panisch klettert er aus der Grube und schleppt sich durch die verlassenen Gassen. Die Farben sind entsättigt, nur Spritzer Rot leuchten uns entgegen. Ein dunkles Pulsieren durchzieht das Grau unserer Welt. Plötzlich treffen wir auf einen schwarzen Umriss, durchzogen von roten Adern und Venen. Wir sehen ein pulsierendes Herz. Als wir den Schemen umfangen, hören wird entfernt die Stimme einer Frau, die uns „Bruder“ nennt. Schluchzend erzählt sie uns, wie erleichtert sie ist, uns gefunden zu haben. Die Geräusche sind gedämpft wie nach einer Explosion, nur das wummernde Pulsieren klingt in unseren Ohren.

Es kommt, was kommen muss: instinktgetrieben versenkt unser Held seine Zähne in den Hals und saugt die Frau aus. Mary, seine Schwester, liegt tot in unseren Armen. Wieder bei Sinnen versteht unser Protagonist seine Tat jetzt erst, doch zum Trauern bleibt keine Zeit. Wir werden entdeckt, Männern mit Fackeln und Gewehren jagen uns durch halb London. Wir finden ein Messer und töten einige der Hascher, bevor wir in einer leerstehenden Wohnung endlich Zeit zum Durchatmen haben. Wir finden eine Pistole, legen uns aufs Bett, schließen unsere Augen und drücken ab – und erwachen in der nächsten Nacht, unversehrt.

Der Einstieg in Vampyr baut ein immenses Tempo auf und erweckt Erwartungen an ein AAA-Game – Erwartungen, die das Spiel ultimativ nicht erfüllen kann. Aber der Reihe nach: Nach dem Einstieg treffen wir Dr. Edgar Swansea, der sich mit Vampiren auskennt und gleichzeitig Leiter des scheinbar einzigen Krankenhauses in ganz London ist. Wir sind Dr. Jonathan Reid, Arzt, Kriegsveteran und Experte für Bluttransfusionen. Unter dem Deckmantel der Heilstätte übernehmen wir die Nachtschicht und machen uns auf die Suche nach dem Verantwortlichen für unsere Situation und nach dem Spielspaß.

Geschichten, die der Tode schreibt

Als Untoter verfügen wir über die Fähigkeiten des Vampir-Einmaleins: Wir können als Schattenform blitzschnell die Position wechseln, unsere Gesprächspartner hypnotisieren und ihnen anschließend das Blut auszusaugen. In Kämpfen kommen dann noch ein paar Angriffe wie Klauenschläge, Blutspeere und Schattententakel dazu. Per Dash weichen wir Angriffen aus, was Ausdauer kostet. Neben unseren Standardattacken können wir auch alternativ den Widerstand des Gegners runterprügeln. Ist der gebrochen, setzen wir per Knopfdruck zum Blutsaugen an, was unseren Blutvorrat für die Vampirfähigkeiten auffüllt. Insgesamt mutet das Kampfsystem sehr Soulslike an und ist auf Duelle mit einzelnen Gegnern ausgelegt.

Leider treffen wir im Durchschnitt immer auf Gruppen von Gegnern, Ausnahme die Bossfights. Aufgrund der teils ungünstigen Kameraführung und weil unser Held gerade zu Beginn des Spiels auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad nur wenige Treffer verträgt, kann so schnell Frust aufkommen. Umgekehrt lebt das Kampfsystem aber von der Devise: okay to learn, easy to master. Das liegt auch daran, dass sich die Gegner nicht großartig voneinander unterscheiden. Wir haben die zombieartige „Skarls“, Vampire und Vampirjäger mit unterschiedlichen Ausführungen. Ob sich der Gegner nun aber teleportieren kann oder Gift spuckt, ändert wenig an der zugrundliegenden Mechanik. Im Endeffekt prügeln wir so lange abwechselnd mit Klinge und Vampirkräften auf den Gegner ein, bis der Lebensbalken leer ist. Taktik? Fehlanzeige. Zwar können wir uns an manche Gegner anschleichen und per Überraschungsangriff betäuben, einen wirklichen Vorteil bringt das aber nicht. So arten die spannenden Gefechte nach den ersten Stunden schnell in nerviges Abarbeiten von Angriffsmustern aus.

Das London des Spiels ist eine stark verkleinerte Version des Originals und sehr schlauchig.

Das liegt auch daran, dass es nicht viel Varianz in den Fähigkeiten gibt. Diese können wir klassisch mit gewonnen Erfahrungspunkten erlernen, die wir für erledigte Gegner, Nebenaufgaben und Hauptmissionen bekommen. Zum einen gibt es aber gar nicht mal so viele aktive Skills, die sich erlernen lassen, als da wären zwei defensive Fähigkeiten, zweimal Mobility, drei Angriffe, drei Ultimates sowie eine Heilung. Zum anderen müssen wir diese stufenweise aufrüsten, damit sie auch gegen die mitlevelnden (ich hasse es!) Gegnern nützlich bleiben. Gleiches gilt im Übrigen auch für die passiven Perks, die uns mehr Lebensenergie geben, unsere Ausdauer steigern oder die Menge an tragbaren Spritzen erhöhen.

Der Arzt, dem die Menschen die Nerven rauben

„Nun gut“, könnte man jetzt meinen, „das ist ja wie in den meisten Rollenspielen.“ Stimmt, aber im Gegensatz zu anderen Rollenspielen begeht Vampyr gleich zwei Fehler: Erstens geizt es mit Erfahrungspunkten, zweitens bestraft es das Aufleveln. Denn für das Verbessern von Dr. Reid muss er sich in einem Hideout schlafen legen. Das wäre kein Problem, wenn dadurch nicht das Feature aus der Hölle in Kraft treten würden. Dazu gleich – noch etwas Geduld. Während unserer Erkundung der britischen Metropole treffen wir in den vier Stadtteilen Whitechapel, Pembroke Hospital, West End und den Docks die nächtlichen Bewohner, die trotz anhaltender Epidemie ihrem gewohnten Leben auf den Straßen nachgehen – natürlich. Das aber auch nicht irgendwann, sondern in der Düsterheit der Nacht. Denn Vampyr spielt ausschließlich nach Mitternacht, nur zu Beginn werden wir kurz von einem einfallenden Sonnenstrahl versenkt. So umschifft das Spiel die Problematik des leicht entzündlichen Protagonisten und limitiert gleichzeitig die Anzahl an NPCs – ein Kniff, der spielerisch sinnvoll ist, dem Ganzen aber auch eine spannende Narrative verwehrt. Wie komme ich am Tage von A nach B, wie halte ich meine Tarnung aufrecht etc.? Spannende Aspekte, die so leider wegfallen. Aber darüber möchte ich jetzt noch gar nicht motzen, schließlich könnte das auch genauso gut sehr nervig werden.

Was aber stört, ist, dass wir als Arzt die Bewohner Londons mit selbsthergestellten Medikamenten heilen können. Narrativ mag das zwar durchaus sinnvoll sein, aber – und jetzt kommt ein großes Aber – sorgt die Mechanik auch dafür, dass in jeder verstrichenen Nacht die Bewohner zufällig erkranken. Noch schlimmer: Jede unbehandelte Krankheit kann sich verschlimmern, weshalb wir stärkere und damit schwerer herzustellende Medikamente für die Behandlung aufwenden müssen. Hinzu kommt ein Gesundheitsmeter, das den Gesundheitszustand eines Distriktes angibt. Fällt dieser gar in den kritischen Bereich, bricht Chaos aus, was bedeutet, dass alle Charaktere sterben und Monster die Straßen übernehmen. Da das Spiel selbstständig speichert, damit das Ganze eine Schnellspeicherlose und „immersive“ Erfahrung wird, kann man bei unbedachtem Verhalten so fix einen Grund zum Neustarten bekommen. Deshalb sollten wir uns immer zweimal überlegen, ob wir uns nun zwecks Skillverteilung schlafen legen, oder doch lieber weiter unterlevelt bleiben, bis es sich nicht mehr vermeiden lässt.

Warum wir nicht einfach jedes Mal die Krankheiten behandeln, möchte man meinen. Das geht natürlich – nur wer hat die Zeit dafür? Denn es gibt kein Schnellreisesystem, und auch die Charaktere werden nicht auf der Karte markiert. Zwar ist London nicht besonders riesig und das Abgehen der Routen trägt zum Worldbuilding bei, allerdings sind die Straßen verwinkelt, teils blockiert und gefüllt mit zahlreichen Gegnern. Wer alle Erkrankten provisorisch aufpäppeln will, muss sich auf viel Lauferei und auch Keilerei gefasst machen. Zusätzlich müssen die entsprechenden Medikamente erst noch gecrafted werden. Die Ressourcen dafür können wir von Feinden oder aus Containern looten, oder aber für viel Geld bei den Händlern kaufen. Es ergibt sich ein riesiger Rattenschwanz, der alleine dem Aufleveln anhängt.

The Good and the ugly Bad

Jetzt kommt aber die gute Nachricht: Das Ganze lässt sich auch umgehen. Wer nämlich im Gegensatz zu mir kein „guter“ Doktor sein möchte, kann die Bewohner auch mit ausreichendem Level einen nach dem anderen aussaugen. Besser versorgte Blutspender geben mehr Erfahrung und werden auch nicht mehr krank – hurra! Wer böse spielt wird also doppelt belohnt. Zusätzlich können wir auch noch Hinweise über unsere Opfer in spe aufdecken. Je mehr wir über eine Person wissen, desto saftiger die XP-Ausbeute. Wenn ich also weiß, dass mein Opfer in seine Nachbarin verschossen ist, bekomme ich weshalb noch mal mehr Erfahrung? Ach, egal. Das Ergebnis ist eine groteske Logik: Wer niemanden töten will, hat nicht nur mehr Arbeit, sondern ist auch noch schwächer und hat darüber hinaus auch nicht wirklich etwas davon, die Bewohner besser kennenzulernen. Denn abgesehen von ein paar zusätzlichen Dialogen und einer Handvoll Nebenquests bringen uns unsere Nachforschungen rein gar nichts. Klar lernen wir die Leute und ihre Hintergrundgeschichten besser kennen, aber startet nicht jeder in das Spiel mit dem Ziel entweder alle Menschen oder niemanden auszusaugen, oder bin das nur ich?

Genau da beißt sich die Fledermaus in den ledrigen Schwanz. Wenn ich niemanden töten will, brauche ich die Menschen nicht besser kennenlernen – was ich ja eigentlich möchte, alleine schon als Begründung, warum ich sie am Leben lassen soll. Möchte ich dagegen alles und jeden aussaugen, muss ich die Hinweise aufdecken, um die volle XP-Ladung abzubekommen – verschonen werde ich sie durch die neuen Erkenntnisse aber trotzdem nicht. Ein Widerspruch, der mich nicht zuletzt dazu verleitet hat, die Dialoge einfach zu überspringen. Was interessiert mich die Geschichte einer Person, wenn ich keinen Einfluss nehmen kann? Ich kann Charaktere mit gefundenen Hinweisen konfrontieren – Effekt? Keiner. Im Gegenteil: Antworte ich unpassend, kann ich den Hinweis sogar unwiederbringlich verlieren. Spielspaß sieht anders aus.

Blah!

Der Vampir aus Heroes of Might and Magic II

Dass ich zum Ende hin die unwichtigen Dialoge geskippt habe, lag auch nicht zuletzt an der eigentlichen Story. So rasant sie beginnt, so schnell entpuppt sie sich auch als Rohrkrepierer, obwohl die ersten Stunden an den Docks und besonders im Krankenhaus zunächst noch spannend sind. Wir erhalten Einblicke in das – abgesehen vom Übernatürlichen – realistisch anmutende London zu Beginn des 20. Jahrhunderts, führen Debatten über Bluttransfusionen und lernen von den politischen Unruhen und kriegsbedingten posttraumatischem Stress. Doch die Jagd nach dem Verantwortlichen für unseren Zustand entwickelt sich schnell zu einem müden A-nach-B-Gelaufe, mit kryptischen Hinweisen, überzogenen Charakteren und einer der schlechtesten Romanzen, die ich seit Langem in Videospielkosmos erleben durfte.

Dabei verhalten sich die Darsteller auch abseits der Romantik nicht nachvollziehbar. Feinde wollen uns ans Leder, damit die Monotonie der Straßenprügeleien wenigstens kurz inszenierten Duellen weichen, und mehr als einmal habe ich gedacht: „Warum? Warum machst du das jetzt? Und warum auf diese Weise? Du könntest auch einfach… Ach egal, du bist eh nur zum Draufhauen da.“ Das eigentlich Traurige ist aber, dass diese Kämpfe kaum spannender sind als der Rest.

Es klingt wie das stetige Klopfen des Hammers auf die Sargnägel, die Vampyr langsam in ein unwiederkehrbares Grab schlagen. Aber gibt es denn auch Positives zu berichten? Ja, absolut. Das London wirkt atmosphärisch, der Soundtrack ist angenehm schaurig und gerade, wenn wir übermächtig sind, mach das Gegnerprügel durchaus Spaß. Auch muss man dem Spiel zu Gute halten, dass es sich hier nicht um ein Blockbustertitel der Marke Assassin’s Creed handelt, sondern um den Versuch der Firma Don’t Nod, ein für sie neuen Genres zu bespielen. Dafür, dass es für die Entwickler neben Remember Me von 2013 quasi Neuland ist, merkt man Vampyr erst auf den zweiten Blick an, dass es sich maximal um ein AA-Game handelt.

Die Summe aller Fehler

Aber selbst das entschuldigt nicht, weshalb manche negative Aspekte so deutlich zu Nachte treten – zumal das Spiel sie selber aufwirft. Zum Beispiel wird uns gleich zu Beginn der Story gezeigt, dass unser Protagonist durch christliche Symbole geschwächt wird. Später taucht auch ein Gegnertyp auf, der uns per Kreuz im Kampf verlangsamt. Trotzdem laufen wir munter an Kirchen vorbei, nehmen an einer Beerdigung teil und gehen sogar zu einem Priester zur Beichte. Das fühlt sich inkonsequent und nicht zu Ende gedacht an.

Auch kann unser Protagonist Ratten aussaugen, die er auf den Straßen findet, kommentiert dies aber selbst nach dem 50 Nagetier mit dem gleichen Spruch darüber, wie abscheulich er sich findet oder dass ihn sein Hunger dazu treiben würde – warum wurde das nicht nach dem zweiten oder dritten Mal entfernt oder zumindest ersetzt? Wo wir gerade beim Hunger sind: Als Vampir müssen wir uns innerhalb der Story immer wieder anhören, wie schwer es uns doch fällt, unseren Durst nach Blut zu kontrollieren. Tatsächlich ist aber nur der gescriptete Mord an unserer Schwester direkt zu Beginn unausweichlich, im eigentlichen Spiel zwingt uns nichts, uns mit unserem „Durst“ auseinanderzusetzen. Mentales Training? Selbstkontrolle? Brauchen wir nicht. Das wäre doch ein möglicher Ansatzpunkt gewesen, um trinkunfreudige Spieler zu belohnen!

Ähnlich blutarm wie Dr. Reid ist auch die eigentliche Welt von Vampyr erschreckend leer, und dass trotz ihrer geringen Größe. Hin und wieder können wir Abzweigungen nehmen, um eine Seitengasse zu erforschen – nur um enttäuscht umzukehren und später mit der entsprechenden Nebenquest wieder zurückzulatschen. Dabei spielt sich fast alles draußen ab, nur selten geht es in Innenräume. Atmosphärische Besuche von Häusern wie der Leichenhalle zu Beginn des Spiels, die schaurig, schöne Erinnerungen an Klassiker wie Thief hochkommen lassen, bleiben seltene Ausnahmen. Und dann schickt uns das Spiel auch noch mehrfach dorthin zurück, weil sinnloses Backtracking ja immer so viel Spaß macht. Jenseits davon durchstreifen wir die linearen Wege und kloppen uns mit den nachspawnenden Gegnern, darunter auch Massen an Vampirjägern. Weitergedacht gibt es in dieser Welt also Vampirjäger, die gegen die Infizierten und eben auch uns kämpfen, trotzdem sprechen die Bewohner nur von Kranken und gehen nachts auf die Straßen? Muss man nicht verstehen.

Auch die Grafik tut ihr Übriges, um das Spiel mit gemischten Gefühlen zu hinterlassen: Mal glänzt das düstere London durch die schick inszenierten Lichteffekte, die sich auf Pfützen und nassen Straßen spiegeln oder protzt mit den tollen Partikeleffekten der Gewehre und Vampirfähigkeiten. Dann wiederum sieht man hakelige Animationen oder Zwischensequenzen, wie zum Beispiel eine, in der Protagonist Jonathan mit trauriger Stimme über den Tod seiner Schwester klagt: „Oh Mary, if I could just change one thing – anything, I would.“ Mein Gedanke dazu war: „Wie wär’s mit der Mimik?“ Hölzerne Gesichter und ausdruckslose Augen in einem Spiel, das von seinen Dialogen leben soll – das darf einfach nicht passieren!

Die Vampir-Sicht, die uns Infos über unsere Gegner und Gesprächspartner liefert und an die Detektiv-Sicht aus der Batman-Serie der Rocksteady Studios erinnert, sieht zwar schön aus, ist ultimativ aber eher hinderlich beim Erkunden als wirklich nützlich. Auch manche Skills wirken unnütz, was gerade beim guten Playthrough mit limitierten Erfahrungspunkten frustrieren kann. Das Crafting ist langweilig und uninspiriert, das Verbessern der Waffen eher notwendiges Übel. Ein kleiner, letzter Kritikpunkt, der trotzdem für mich ein kleiner Atmosphärenkiller war, ist das unbeholfene Spieldesign. Überall in der Welt liegen zerstörbare Gegenstände herum, die sofort zu Bruch gehen, wenn wir durch sie sprinten. Das wirkt bei einem Stuhl vielleicht noch unpassend, wenn aber ganze Grabsteine bei bloßer Berührung zerplatzen, bleibt einem fast nur noch ein genervtes Kopfschütteln.

Nicht der dunkle Held, den wir brauchen

Das war auch ungefähr meine Reaktion, nachdem ich das Spiel abgeschlossen hatte. Was war passiert? Vampyr hatte die Dreistigkeit besessen, mir nur das zweitbeste der vier möglichen Enden vorzusetzen. Warum? Ich hatte es gewagt, drei Personen zu töten – drei! Alles Charaktere aus der Hauptgeschichte. Und das Beste daran war, dass ich deren Tode teilweise nicht verhindern konnte oder zumindest nicht verhindern wollte. Bin ich deshalb ein gewissenloser Mörder? Scheinbar ja! Obwohl ich das komplette Spiel über, ganze 23 Stunden, akribisch darauf geachtet hatte, alles und jeden am Leben zu halten. Ein Maytyrium (ich bitte den Gag zu verzeihen), das am Ende nicht mal belohnt wurde. Ist es mir wichtig, das perfekte Ende gesehen zu haben? Nein. Aber hinterlässt mich das Spiel jetzt mit einem guten Gefühl? Auch nicht. Das hätte es aber auch nicht, wenn ich doch das Finale bekommen hätte, für das ich einen ganzen Tag gezockt habe. Zu viele Fehler haben mich immer wieder fast dazu gebracht, den Durchlauf abzubrechen. Selbst wenn Vampyr nicht als schlechtes Spiel bezeichen kann, ist es nur einfach auch kein wirklich gutes.

Für alle, die meine Enttäuschung nachvollziehen können, möchte ich noch kurz klarstellen: Ich bin kein beleidigtes Kind, das nicht genau das bekommen hat, was es ich gewünscht hat. Aber Vampyr bewirbt sich selbst als Spiel, in dem Entscheidungen Konsequenzen nach sich ziehen. Meine Entscheidung, niemanden zu töten, hatte aber nur zur Folge, dass die Spielerfahrung signifikant schlechter wurde. Ein Dishonored stellt mich vor die gleiche Wahl, macht das Spiel aber nur schwerer. Es bestraft mich nicht aktiv, indem es mich vor repetitive Aufgaben stellt und in der Charakterentwicklung einschränkt. Vermutlich muss man sich mit gedämpften Erwartungen nach London aufmachen, man darf nicht die Hoffnung auf ein tiefgehendes Vampir-Rollenspiel mit einer Story auf Life Is Strange-Niveau erwarten, sondern viel mehr ein mittelständiges Action-RPG, das vieles versucht, aber leider nicht alles hinbekommt. Als Pausenfüller für zwischendurch mag es mangels mir bekannter Alternativen in der Richtung wohl dienen, es nicht gespielt zu haben ist aber kein wirklicher Verlust.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

de_DEDeutsch