Crysis
Welcome to the jungle
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Warhead (2008).
Wem es im Jahr 2007 beschieden war, Crysis spielen zu können, kam nicht nur in den Genuss eines sehr coolen Sci-Fi-Egoshooters im Dschungelszenario, sondern konnte sich hardwaretechnisch auch zu den oberen Zehntausend zählen. Weil das Spiel des deutschen Entwicklerstudios Crytek auf höchsten Einstellungen sogar damalige High-End-Rechner in die Knie zwang, musste ich es zum Release auf niedrigen bis mittleren Einstellungen spielen. Schön in diesem Zusammenhang übrigens, dass das kürzlich erschienene Remaster aller drei Crysis-Teile diese Tradition 15 Jahre später wohl erneut fortführt, weshalb ich mich direkt davon ferngehalten habe.
Bleiben mir also die wohligen Erinnerungen an lauschige Strandgänge im Tarnmodus des Nanosuits, durch den ich mich an meine unwissenden Gegner schleichen konnte, um sie dann zu greifen und im Stärkemodus in die Erdumlaufbahn zu prügeln. Hach, memories … ich schweife ab. Crysis war ein gutes Spiel, ebenso wie sein Nachfolger Crysis 2, der durch die Vereinfachung der Modi unseres Supersoldaten-Stramplers ein fluffigeres Gameplay erzeugte, dessen 08/15 Call of Duty-Weltenrettungs-Stadtzerbombungs-Explosionsfetischismus mir aber weniger zusagte. Teil 3 wiederum habe ich gar nicht erst gespielt.
In der Mathematik würde man von einer linearen Abflachung meines Interesses sprechen – oder so. Ehrlich gesagt habe ich da nie so richtig aufgepasst. Dafür fehlte mir einfach die Anwendbarkeit im Alltag. Damals hörte ich viel lieber in den Soundtrack von Komponist Inon Zur rein, der mir zu jener Zeit so gefiel, dass Crysis und dessen Addon Warhead insgesamt sechs 5-Sterne-Tracks bekamen und dabei halfen, das Franchise in meiner Top 10 Sci-Fi Scores auf Platz 4 zu befördern.
Nun höre ich ja für jede meiner Reviews in gewissenhafter Vorbereitung den kompletten Score noch einmal durch, um zu überprüfen, ob Vergangenheits-Mattis ein wahrer Musikconnaisseur war oder nicht. Und ich musste zum ersten Mal und mit Erschrecken feststellen, dass ich ein paar Abwertungen vornehmen musste. Natürlich kannte ich alle betroffenen Kandidaten, laufen sie doch in meiner Playlist rauf und runter. Wenn der Finger jedoch schon gewohnheitsmäßig zum Skip-Button zuckt, lässt das nichts Gutes vermuten. Und so kam es dann auch.
Tatsächlich muss ich mir wohl eingestehen, dass meine Wertungen aus dem Jahr 2007 (oder etwas später) wohl meinem Mangel an Alternativen geschuldet waren. Als ich die Stücke mit 5 Sternen versah, waren es einige der ersten meiner Sammlung und reihten sich neben Spielen wie The Elder Scrolls IV: Oblivion oder Battlefield: Bad Company 2 ein. Aber so, wie man irgendwann nicht mehr die edgy Indie-Band von damals hören kann (looking at you Ash), so verhält es sich scheinbar mit ein paar dieser Tracks. Da das hier allerdings keine Falling-Out-Of-Love-Story werden soll, kommt nun die 15 Jahre späte Review zum Soundtrack vom allerersten Crysis.
Zunächst einmal das Positive: Mit 22 Tracks und einer Dauer von ca. einer Stunde ist der Score angenehm umfangreich, ohne aufgebläht zu wirken. Totalausfälle gibt es keine, ein paar schöne Lichtblicke strahlen durchs Palmendach und, was mir besonders wichtig ist, wir haben ein echtes Theme. Eines, dass nicht nur im Hauptmenü oder im Intro läuft, sondern tatsächlich wiederkehrt und in andere Tracks inkorporiert wird. Die Musik des Spiels besitzt also eine gewisse Identität – toll!
Insgesamt klingt der Crysis-Score (nicht zu verwechseln mit Crisis Core) wie eine Hommage an den ersten Predator-Film mit Arnold Schwarzenegger. Der war ja weniger Hollywood-Geballer und mehr Survival-Thriller, und dieses Szenario bildet Crysis zumindest zu Beginn ebenfalls ab. Wenn wir durch das Dickicht schleichen und uns vor den anfänglich menschlichen Gegnern verstecken, baut der Soundtrack eine angenehme Dschungelatmosphäre auf, gemischt mit einem Gefühl von Gefahr, die hinter jeder Ecke lauern könnte.
Mal mehr fokussiert auf den Thrill-Aspekt (Terminal, Loss of Pressure, Only a Way in), mal mehr tempoorientiert (The Nexus, Gaining Ground, Losing Time) und abseits dessen mal etwas psychedelisch (Scavengers) funktioniert das Zusammenspiel von Percussions, Streichern und Bläsern (sogar Panflöten!) beklemmend gut. Unterstützt wird dieser Eindruck noch durch die Integration von SFX und Voicelines (By a Thread, Strickland’s March), die etwas Abwechslung in das Einheitsmus bringen, von denen ich indes in den seltensten Fällen wirklich Fan bin. Hier kann ich so gerade noch darüber hinwegsehen.
Neben den Predator-Anleihen kommen bei mir außerdem noch Assoziationen mit weiteren Franchises hoch. First Light versprüht angenehm Uncharted-Vibes und lässt Bilder von dichten Urwäldern und Ruinen entstehen, bevor auf der Hälfte zum ersten Mal der wiederkehrende Marschcharakter des Main Themes erklingt. Das ist zwar nicht unsagbar spannend, aber immerhin etwas … auch wenn ich nicht wirklich traurig darüber bin, dass es in den nachfolgenden Teilen nicht weiterverwendet wurde. Infiltration klingt dagegen mit seinen Streichern wie ein Stück aus der Soul-Reaver-Reihe entliehen und die Theatralik von Sometimes You Lose weckt Erinnerungen an Command & Conquer 3: Tiberium Wars meets Medieval 2 Total War marries Die Chroniken von Narnia.
Jetzt sagen meine geistigen Verbindungen rein gar nichts über die Qualität des eigentlichen Soundtracks aus, sondern sollen nur erklären, warum der Score bei mir heute nicht mehr so hoch rangiert wie damals. Weil es für mich nach Dingen klingt, die ich schon kenne, und diese dann zu unspektakulär macht, als dass es mich hundertprozentig abholt. Gerade die Ambient-Action-Tracks (Legion, Reactor, Shotgun) klingen eher wie aus einer Tabletop-RPG-Verwurstung entliehen, und weniger nach knalliger Shooter-Kost – und schon gar nicht nach Sci-Fi. Ausnahmen bilden hier Grave Danger, das vergleichsweise ruhig beginnt, bevor es klangvoll mit dem Main Theme arbeitet und so einen schönen, diametralen Kontrast herstellt.
Zu guter Letzt noch Undercurrent, das in ähnlicher Form auch aus Call of Duty: Modern Warfare stammen könnte sowie meine Highlights des Scores, Sometimes You Win und Pyrrhic Victory. Beide deuten bereits Zurs Stil an, den er zwei Jahre später in Dragon Age: Origins brillant aufspielen sollte und machen einfach Spaß. Diese Verquickung von kaskadierenden Streichern und dramatischen Bläsern bietet eine heroische Soundkulisse, die ein Abenteuer auf einer einsamen Insel eigentlich nicht verdient hat, die es aber bitter benötigt, um aus der Uniformität der Tribal-Atmo-Hintergrundberieselung auszubrechen und den Score nicht einen von vielen werden zu lassen.
So kann der Crysis-Score ein paar Spitzen setzen, die sicherlich niemanden umhauen werden, gleichsam jedoch genug Charakter besitzen, dass man die Komposition in dem Meer der Musik heraushören kann. Wie ein besonderer Wein – oder ein tropischer Fruchtcocktail.
Nostalgiewarnung
Die Wertung der einzelnen Tracks ist rein subjektiv und durch meine eigene Erfahrung mit dem Spiel deutlich gefärbt. Mehr dazu findest du in dem Artikel Über Nostalgie.
Nr. | Titel | Interpret(en) | Bewertung |
---|---|---|---|
01 | By a Thread | Inon Zur | |
02 | First Light | Inon Zur | |
03 | Terminal | Inon Zur | |
04 | The Nexus | Inon Zur | |
05 | Infiltration | Inon Zur | |
06 | Sometimes You Lose | Inon Zur | |
07 | Legion | Inon Zur | |
08 | Strickland's March | Inon Zur | |
09 | Reactor | Inon Zur | |
10 | Grave Danger | Inon Zur | |
11 | Trespass | Inon Zur | |
12 | Knee Deep | Inon Zur | |
13 | Loss of Pressure | Inon Zur | |
14 | Shotgun | Inon Zur | |
15 | Guardians | Inon Zur | |
16 | Undercurrent | Inon Zur | |
17 | Sometimes You Win | Inon Zur | |
18 | Gaining Ground, Losing Time | Inon Zur | |
19 | Only a Way in | Inon Zur | |
20 | Scavengers | Inon Zur | |
21 | Prophet's Bridge | Inon Zur | |
22 | Pyrrhic Victory | Inon Zur |
Erscheinungsdatum: 2008
Art: Original Soundtrack (OST)
Komponist(en): Péter Antovszki
Trackzahl: 10
Warhead
Ein Jahr nachdem Crysis die Platinen zum Glühen gebracht hatte, erschien 2008 mit Warhead das einzige Addon der Reihe. Das erzählt die Geschichte rund um die Alieninvasion des ersten Teils aus der Sicht von Michael Sykes alias ‚Psycho‘ weiter, hat aber vom Gameplay weniger mit dem Original zu tun, als man zunächst vermuten würde. Denn passend zum mentalen Gesundheitszustand des Protagonisten setzt der bevorzugt auf konventionelles Backenfutter statt Tarnmodus. Klingt also wie eine Abkehr der Tugenden des Hauptspiels und entwertete das Game für mich dermaßen, dass ich noch nicht einmal mehr weiß, ob ich es überhaupt gespielt habe.
Dass das Spiel statt vom ursprünglichen Entwickler Crytek von dessen ungarischer Tochter entwickelt wurde, merkt man unterdessen nicht nur an den Designentscheidungen, sondern auch der musikalischen Untermalung: Wo ich bei der Musik-Review zu Crysis noch davon sprach, dass sich viele Parallelen zum ersten Predator-Film feststellen ließen, setzt sich diese Tradition in Warhead fort … also wenn man das Spiel mit dem zweiten Predator-Film vergleicht. Der war bekanntlich weniger Thriller und mehr cheesy Action-Kost, und auch wenn das Setting des Spiels gleichbleibt, lässt sich der Vergleich zumindest aufs Akustische übertragen.
Statt mehrfach ausgezeichnetem Starkomponisten Inon Zur betritt Péter Antovszki die Bühne, der zuletzt mit den Scores zu Sudden Strike 4, Codename: Panzers – Phase One oder S.W.I.N.E.: HD Remaster in Erscheinung trat. Das klingt abwertender, als sein soll und dient nur dazu, die Kragenweite beider Komponisten zu vergleichen. Beim Fußball macht es ja auch einen Unterschied, ob ein Messi im Sturm steht oder ein Hummels: Beides sind gute Spieler aber eben mit unterschiedlichen Talenten.
So klingen die Tracks von Antovszki ein wenig von der Stange und bedienen damit exakt das Problem, über dessen Umschiffung ich mich beim ursprünglichen Score noch gefreut hatte. Mal The Chronicles of Riddick: Escape from Butcher Bay (Crysis Warhead), mal eines der aktuellen Call of Dutys (Airfield Assault) oder ein Action-Piece Marke Splinter Cell (Alien Theme, Approaching Airfield) – aber nie Crysis. Das Theme des Hauptspiels ist nirgendwo zu hören, etwas, das an seine Stelle tritt, fehlt indes ebenso. Gleichzeitig lassen manche der Tracks durch entfernte Anspielungen wie Percussions das Dschungelsetting erahnen (Ambush, Psycho Standoff), das im Hauptspiel noch Dreh- und Angelpunkt der Komposition war. Hier wirkt es belanglos und wird fast beiläufig abgehandelt.
Generell bedient Warhead musikalisch das Fast-Food-Klischee der Gamesindustrie, in der die Musik als Nebenprodukt und Lückenbüßer dient. Dank Synthies und schneller Beats wirkt das alles gehetzt und mehr wie ein Ableger der späteren Emergency-Teile als ein AAA-Titel. Abgerundet wird das Gesamtwerk durch dominante E-Gitarren-Riffs, die überraschend gut klingen, wodurch man den Score ohne besseres Wissen gleichsam auch in der Action-Abteilung einer gut sortieren Royalty-Free-Musik-Sammlung verorten könnte.
Trotzdem funktioniert die Musik stellenweise sehr gut (wie bei einem Emergency), was wohl meinem simplen Faible für diese Form der Audioschmonzette geschuldet ist. Dadurch entsteht schlussendlich eine Durchschnittswertung, die nach der ganzen Kritik zum Stirnrunzeln einlädt und von mir abschließend eingeordnet werden muss: Die Musik von Warhead ist sehr durchschnittlich und bar eigenen Charakters; Crysis besitzt dagegen einen experimentellen Score, der sich mehr traut und folglich stärker polarisiert. Stünde man vor der Wahl, würde ich ohne zu zögern die Musik vom Hauptspiel empfehlen. Allerdings gibt es ja auch Menschen, die eine handfeste Ballerorgie einem Thriller vorziehen. Denen ist in diesem Fall aber auch nicht mehr zu helfen.
Nostalgiewarnung
Nr. | Titel | Interpret(en) | Bewertung |
---|---|---|---|
01 | Crysis Warhead | Péter Antovszki | |
02 | Ambush | Péter Antovszki | |
03 | Hovercraft Pursuit | Péter Antovszki | |
04 | Burned Village | Péter Antovszki | |
05 | Alien Theme | Péter Antovszki | |
06 | Approaching Airfield | Péter Antovszki | |
07 | Airfield Assault | Péter Antovszki | |
08 | Airfield Assault [Alternate] | Péter Antovszki | |
09 | Psycho Standoff | Péter Antovszki | |
10 | Mission Accomplished | Péter Antovszki |