Mafia: Definitive Edition
Eine definitive Empfehlung
Ich sitze in meinem Schreibtischstuhl. Es ist einer dieser Abende, an denen man nicht weiß, was Lady Luck für dich vorgesehen hat: Vielleicht entdeckst du eine neue Serie, die dich vom ersten Moment an fesselt. Oder du bekommst einen Anruf deiner Freunde, dass sie heute noch etwas unternehmen wollen. Unterwegs triffst du zufälligerweise die eine Person, die dein Leben völlig auf den Kopf stellt. Vielleicht bleibst du auch daheim und dich überkommt die Inspiration, etwas ganz Neues auszuprobieren, dich etwas zu trauen, stehst nach getaner Arbeit vor dem Spiegel und lächelst dich zufrieden an. Möglicherweise ist es aber auch nur ein ganz gewöhnlicher Abend, an dem nichts Weltbewegendes passiert. So wie das meistens der Fall ist, wenn man nicht gerade der Protagonist eines Actionthrillers ist.
Im Falle des 2002 erschienenen Videospiels Mafia, beziehungsweise dessen 2020 runderneuerter Definitive Edition, ist wohl Ersteres der Fall. Tommy Angelo, seines Zeichens simpler Taxifahrer mit hervorragendem italienischen Akzent, gerät durch eine zufällige Bekanntschaft ins Fadenkreuz einer kriminellen Bande. Ein paar Missionen später ist er Teil der Salieri-Familie, einer italienischen Mafia in der fiktiven US-amerikanischen Stadt Lost Heaven in den 1930er Jahren – so schnell kann’s gehen. Wer bekannte Filme und Serien wie Der Pate, GoodFellas oder auch Die Sopranos kennt, erahnt bereits Thommys sozialen Aufstieg in Verbindung mit dem moralischen Verfall, den ein Leben im organisierten Verbrechen so mit sich bringt.
Mehr möchte ich zur sehr guten Story auch nicht sagen, denn sie ist der Kernaspekt des Spiels, das zwar eine Open World bietet, diese aber nur als Kulisse nutzt. Anders als ein GTA spielen wir die Missionen strikt in der vorgegebenen Reihenfolge und müssen auch nicht zu einem Auftraggeber fahren. Dadurch fehlt uns zwar die Möglichkeit, Lost Heaven auf eigene Faust zu erkunden, aber da die Stadt ohnehin keine Aktivitäten außer das Einsammeln versteckter Collectables bietet, fällt dies nicht störend auf. Der Fokus ist klar aufs Narrativ gesetzt und die Aufträge abwechslungsreich genug, dass keine Langeweile aufkommt. Gleichzeitig werden wir nicht immer wieder aus der Erzählung rausgerissen, sondern können uns voll auf die Geschichte konzentrieren – ein, wie ich finde, gutes System.
Das Erleben von Tommys zunehmend kriminelleren Werdegang profitiert dabei neben den cineastischen Zwischensequenzen auch von dem hervorragenden (englischen) Voice Acting, das in dieser Form nur in der Originalvertonung erlebbar wird. Die Akzente und Dialekte der diversen Charaktere sowie die zeitgenössischen Ausdrücke, wirken authentisch und verdichten die Mafia-Atmosphäre angenehm. Der orchestrale Soundtrack und Details wie Radioansagen während der Fahrsequenzen runden den immersiven Gesamteindruck ab und bringen uns eine Ära nahe, die in Videospielen selten beleuchtet wird.
Remake statt Remaster
An dieser Stelle könnte ich nun diese reichlich kurze Review beenden, allerdings würde dies der Definitive Edition nicht gerecht werden. Denn auch wenn ich das originale Mafia von 2002 leider nie gespielt habe (immerhin war ich da gerade mal 10), glaube ich beurteilen zu können, dass das Team von Hangar 13 hier einen Klassiker liebevoll restauriert, renoviert und runderneuert haben. Wer sich an meine Rezension zur Crash Bandicoot N. Sane Trilogy erinnert, hat vielleicht noch meine kritischen Worte im Ohr, dass Vicarious Visions die alten Crash Bandicoot-Spiele zwar grafisch ausgezeichnet aufgeforstet haben, der neue Lack das für mich veraltete Gameplay aber nur in bedingtem Maße erträglich gemacht hat. Und zu meiner Verteidigung fehlte mir auch dort die Spielerfahrung des Originals.
Bei der Definitive Edition von Mafia jedoch habe ich jetzt ein Spiel gespielt, das in dieser Form auch heutzutage gut hätte erscheinen können und fast durchgängig Spaß gemacht hat. ‚Fast‘ wohlgemerkt, denn auch wenn die Ballerbude mittels unzähliger Verbesserungen, Anpassungen und Generalüberholungen an heutige Genrestandards angepasst wurde, schlummert unter der Haube nach wie vor 20 Jahre altes Gameplay, das hin und wieder seine verwitterten Krallen ausstreckt und sich in den Spielspaß gräbt.
Ich könnte nun anfangen, dass ich mir tatsächlich mehr Sinnhaftigkeit für die Open World gewünscht hätte. Zu keinem Zeitpunkt gab es für mich die Notwendigkeit, die eigentlich sehr hübsche Kulisse von Lost Heaven genauer zu untersuchen oder die Wahrzeichen zu besichtigen. Im Original-Mafia brauchte man die zum Teil zur Orientierung, denn Minimaps mit Fahrrouten waren zu jener Zeit noch kein etabliertes Feature. Fans von damals werden sich vermutlich noch sehr genau an die Orts- und Straßennamen erinnern können, für mich flogen sie mit festem Blick auf die praktische Routenanzeige an meinem Sichtfeld vorbei. Aber ist das wirklich etwas Schlechtes, wenn es ohnehin nichts zu entdecken gibt?
Spaß trotz Ecken und Kanten
Was sich wiederum als etwas gewöhnungsbedürftig darstellte, war das Keyboard-Mapping. Zwar lassen sich Waffen und Granaten, modernem Selectionwheel sei Dank, recht schnell auswählen. Aber dass man nun Granaten nur mit G werfen kann, statt sie auszuwählen, fand ich doch verbesserungsfähig. Dazu Nahkampfwaffen, die erneut nur mit der designierten Nahkampftaste (nein, nicht der linken Maustaste) genutzt werden können, Autos, die sich gewaltvoll mit E oder leise mit V öffnen lassen, Ausweichmoves mit der linken Alt-Taste, Radiosender und Kameraeinstellungen mit den Zahlentasten … das alles ginge vermutlich schöner, zeigt allerdings auch, wie viele Features in die Definitive Edition geflossen sind.
Dass das Kampfsystem an heutige Standards angepasst wurde, ist unterdessen ein Segen. Nahkampfangriffe lassen sich aufladen, mit dem richtigen Timing sind Ausweichen nebst Konter möglich und eine Autoheal-Funktion sorgt dafür, dass man nicht ständig mit bangem Blick auf die Zahl im Lebensbalken achtet. Gleichsam wurde die Limitierung auf zwei Handfeuerwaffen (Pistole + Großkaliber) beibehalten, was die Schießereien durch Munitionsknappheit und trotz Deckungssystem recht kniffelig macht.
Unterhaltsam ist es trotzdem, mit den bekannten Schießprügeln wie abgesägten Schrotflinten, Revolvern oder Tommy Guns Kugeln zu verteilen. Auf dem hohen Schwierigkeitsgrad habe ich da ein ums andere Mal ins Gras gebissen, nicht zuletzt durch die vergleichsweise gute KI, die aktiv Deckung sucht und sogar flankiert. Das faire Checkpoint-System gleicht diese Herausforderung größtenteils aus und verhindert über weite Strecken Frust.
Unkraut vergeht nicht
‚Über weite Strecken‘ wohlgemerkt, denn manche Passagen dieses Spiels stammen wie schon vor 20 Jahren direkt aus der Hölle: Railway-Shooter-Passagen, in denen man auf Verfolger ballern und trotz fleißiger Bleiberieselung dem Gesundheitsbalken unserer Untersatzes beim Schwinden zusehen kann, machen genauso wenig Spaß wie der Kampf gegen ein schmelzendes Eis am Stiel, das sich trotz unserer Bemühungen langsam in gefährliche Schräglage begibt, bevor es auf den Boden klatscht.
‚Klatschen‘ ist ein gutes Stichwort, denn auch bei der Fahrphysik klatscht es keinen Beifall. Ich weiß nicht, ob sich Fahrzeuge vor 90 Jahren wie ein Klotz Butter in einer heißen Pfanne steuern ließen, aber falls ja, so wurde dieses Gefühl exzellent eingefangen. Schon kleinere Kurven lassen das Auto bei zu schnellem Fahren ausbrechen, weshalb einiges an Übung notwendig ist, damit man bei den teils fordernden Verfolgungsjagend überhaupt eine Chance hat.
Besonders fatal ist das Rutschfest unterdessen, wenn man ein Rennen mit an Perfektion grenzender Genauigkeit fahren muss, um gegen die KI irgendeine Chance zu haben. Ich weiß nicht, wie viele Anläufe ich für diese verkackte Rennmission gebraucht habe. Angeblich gibt es ja sogar die Möglichkeit, sie zu überspringen, weil sie schon damals fürn Arsch war. Meinem Ehrgeiz hätte es aber keine Ruhe gelassen und irgendwann, irgendwie habe ich diese Drecksmission geschafft. Empfehlen würde ich es aber niemandem.
Perfekt unperfekt
Und trotzdem, trotzdem macht das Mafia-Remake Spaß! Man blickt einfach über Kleinigkeiten wie die hölzernen Gesichtsanimationen außerhalb der Cutscenes hinweg. Man beißt sich durch die fieseren Stellen und tuckert mit 40 Sachen durch die Stadt, da man sonst von den Ordnungshütern verfolgt wird. Denn das Coole ist, dass diese kleinen Details alles Dinge sind, die aus der heutzutage gewohnten Spielerfahrung ausbrechen. Wie ein Gericht, dass die Oma früher gemacht hat und jetzt von der vegetarischen Freundin neu gedacht und umgesetzt wurde. Schmeckt anders, vielleicht wie früher, vielleicht sogar besser, aber es kommt von jemand anderem.
Und dafür muss ich erneut Hangar 13 loben. Diese vielen, netten Spielereien und Details wie der Radioempfang, der in Tunneln schlechter wird. Die Tatsache, dass man Leichen wegtragen kann (ein Feature, das selbst in Schleichmissionen nie benutzt wurde). Der Geschwindigkeitslimiter, der das Auto automatisch auf die höchstzugelassene Geschwindigkeit drosselt, wodurch Beschattungsmissionen, die sonst immer in einem Gas-und-Brems-Spiel enden, sich vergleichsweise dynamisch anfühlen. Generell sind hier Details im Spiel, die gerne auch bei GTA und Konsorten Anwendung finden sollten. So rollen beispielsweise Polizeiautos bei Straßensperren nach hinten, wenn wir versuchen, durch die Lücke am Rand zu preschen. Oder wir können tatsächlich Strafzettel einfach bezahlen, wenn wir mal zu schnell gefahren sind. Das kostet nur etwas Zeit, denn Geld haben wir eh keins. So erspart man sich nervige Verfolgungsjagden und hat stattdessen eines: Immersion.
Zusammen mit der wirklich schönen Grafik, der Möglichkeit, Missionen nachzuspielen, einer Autoenzyklopädie, einem Score, der sich über weite Strecken leider sehr zurückhält, in seinen besten Momenten jedoch zu Call of Duty-artiger Thrilleraction avanciert, der runderneuerten Sprachausgabe, den zusätzlichen Aufträgen und Zwischensequenzen sowie der glaubhaften Story, ergibt die Definitive Edition als eine der wenigen Vertreterinnen ihrer Art tatsächlich die, meiner Meinung nach, definitive Edition, in der das Spiel Mafia erlebt werden sollte. Und kein Fan kann mir ohne nostalgische Verklärung sagen, dass es sich hierbei nicht um ein sinnvolles Remake handelt und Mafia von 2002 objektiv besser sei. Aber was ist schon besser? Hätte ich die Zeit sinnvoll genutzt und eine Serie geschaut? Brauchte es diese Review? Wer weiß das schon. Ich sitze auf jeden Fall nach wie vor in meinem Schreibtischstuhl. Vielleicht passiert ja noch etwas.