Die Sims
Die Sims
02.10.2022
Magische Melancholie
Über Die Sims, ein Spiel, das zur Jahrtausendwende erschien und ganze Generationen vor die Röhrenbildschirme fesselte, wurde bereits alles gesagt … zumindest inhaltlich. Aber ich bin nicht hier für Inhalt, ich bin hier für Meinung! Und für mich war Die Sims magisch. Nicht nur wegen seines sechsten Addons Hokus Pokus, sondern aufgrund des revolutionären Spielprinzips, das mich das Leben von digitalen Menschen kontrollieren und sie durch alle Höhen und vor allem Tiefen steuern ließ.
Wenn man dies wie ich im zarten Alter von acht Jahren tat, bedeutete das für meine Sims meistens eine Existenz vergleichbar mit der eines durchschnittlicher FDP-Wählers, der durch unerlaubte Mittel zu immensem Reichtum gelangt war und seinen Lebensabend, umgeben von Butlern, Gärtnern, einem Roboter und einer untoten Putzfrau in einer überdimensionalen wie geschmacklos eingerichteten Villa fristen muss. Für mich war Sims aber nicht nur eine Offenbarung für das Unterhaltungsmedium Videospiel. Nein, auch musikalisch hat es mich – wie so viele Spiele dieser Epoche – geprägt. Dabei hören Sims-Spieler nichts Bahnbrechendes, nichts nie Dagewesenes, keine Experimente und schon gar nichts Unbekanntes. Sie hören ein Klavier, sie hören Geigen. Und ich höre meine Kindheit.
Was Komponist Jerry Martin für Sims erschaffen hat, ist für mich nicht nur die perfekte Begleitung für ein ganz besonderes Spiel, sondern vielmehr ein Gefühl, eine Art Einkapselung des Lebens. Jeder Track erzeugt eine andere Stimmung, mal heiter und unbeschwert, mal nachdenklich und melancholisch: Under Construction zeugt mit seinen dominanten, tiefen Akkorden und den herumtanzenden hohen Tönen von Lebenslust, suggeriert Anpacken und Loslegen – das Leben ist schön und wir können alles schaffen. Buying Lumber dagegen ist langsam, kriecht fast schon energieleer über den tonalen Boden und versucht, sich immer wieder aufzurichten. Es ist nicht deprimierend, es ist berührend. Und obwohl sich diese Eindrücke diametral gegenüberstehen, gehören sie zusammen: kein Schatten ohne Licht, keine Freude ohne Trauer … ihr kennt das.
Nun ist meine Meinung offensichtlich nostalgisch verzerrt und meine Wahrnehmung pathetisch verklärt. Aber anders als ein Anno 1602, bei dem ich jeden Track liebe, weil Anno eine meiner ersten Spielerfahrungen war, lässt sich meine Begeisterung für manche Stücke aus dem Sims-Score von Nicht-Initiierten vielleicht besser verstehen. Schließlich hören wir hier typische New-Age-Klavierstücke, gepaart mit der klassischen Feel-Good-Berieselung einer 50er-Jahre Sitcom à la WandaVision. Insofern ist die Musik nichts wirklich Neues, aber die Kombination macht sie zu etwas Einzigartigem. Es ist eine Art Jam Session, die ungeplant wirkt und trotzdem nicht langweilt.
Ehrlicherweise habe ich mich lange vor dieser Review gedrückt, weil sie etwas Besonderes werden sollte. Sie sollte der Arbeit von Martin gerecht werden, der uns nicht nur ein paar der schönsten Stücke der Videospielgeschichte geschenkt hat, sondern mich unbewusst auch dazu gebracht hat, mit dem Klavier anzufangen. Klingt kitschig, war aber so … oder so ähnlich, keine Ahnung. Ich war sehr jung, beeinflussbar und habe mittlerweile das Gedächtnis meines Hundes Corvo, wenn es um die Verrichtung der Notdurft vor der Schlafenszeit geht.
Dabei ist mir aufgefallen, dass es für mich keinen Sinn ergibt, jeden Track in seiner Einzelheit zu besprechen, denn es ist das Gesamtwerk, das überzeugt. Zumindest, wenn man das Gesamtwerk auch vorliegen hat. Denn zurück beim eigentlichen Score möchte ich auf den Umstand hinweisen, dass im Original Soundtrack (OST) nur eine kleine Auswahl der bedeutenden Tracks untergekommen ist. Diese mussten leider dem vergleichsweise unspektakulären Ingame-Radiogedudel weichen, das Tracks wie das Banjo-Intermezzo SIM Hoe Down, das Rock-Imitat SIM Hagar oder das feurig belanglosen Samba SIM umfasst – eine Schande! Denn auch wenn mit Mall Rat und Groceries zwei der hörenswerteren Tracks im Score gelandet sind, fehlen die Knaller, die man nur im Gamerip findet.
Dazu zählen neben dem ikonischen Main Theme The Sims, das uns beim Starten des Spiels mit seiner freudigen Geigenmelodie begrüßt, auch das lebensbejahende Building Mode 3, das beschwingte Buy Mode 3 sowie Neighborhood 4. Insbesondere Letzteres dürfte mit seinem Bossa Nova Blues jedem Spieler im Gedächtnis geblieben sein. Vor allem die bittersüßen Building Mode 4 und Building Mode 6 fehlen, die Herzschmerz mit grenzenlos scheinendem Optimismus kreuzen.
Auch wenn ich in dieser Review nicht auf alle Nebentracks eingegangen bin, wurde von meiner Seite – zumindest über das Hauptspiel – alles gesagt. Wer die Musik noch nicht gehört haben sollte, muss (ja muss!) auf jeden Fall mal reinhören und sich verzaubern lassen. Und wer noch ein paar Worte des Komponisten lesen möchte, kann gerne mal in diesen Artikel von AnotherMag reinschauen. Dort wird ein wenig was über den Entstehungsprozess des Spiels und der Musik erzählt. Ich jedenfalls werde jetzt noch ein Weilchen in Erinnerungen schwelgen und dabei verträumt mein Klavier anschauen, das still vor sich hin staubt.
Nostalgiewarnung
Die Wertung der einzelnen Tracks ist rein subjektiv und durch meine eigene Erfahrung mit dem Spiel deutlich gefärbt. Mehr dazu findest du in dem Artikel Über Nostalgie.
- Die Sims – Track 01 – Now Entering
- Die Sims – Track 02 – Neighborhood
- Die Sims – Track 09 – BoSIM Nova
- Die Sims – Track 11 – SIM Nights
- Die Sims – Track 03 – Under Construction
- Die Sims – Track 04 – Buying Lumber
- Die Sims – Track 05 – Mall Rat
- Die Sims – Track 06 – Groceries






