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Valiant Hearts: The Great War

Erscheinungsdatum: 2014
Art: Original Soundtrack (OST)
Komponist(en): Ian Livingstone; Peter McConnell
Trackzahl: 20


Schöner Schmerz

Wir schreiben das Jahr 2014 des Herrn. Klein-Mattis befindet sich im 3. Semester eines Studiums, mit dem er im Vorjahr schon geistig abgeschlossen hat und bekommt von seinem guten Freund Jacko [Name von der Redaktion nicht geändert] ein schnuckeliges Indie-Spiel namens Valiant Hearts: The Great War geschenkt. Das stellte zusammen mit Child of Light ein Teil von Ubisofts Qualitätsoffensive dar, nachdem man zuvor feststellen musste, dass der neu eingeführte „Always-On“-Kopierschutz in der Gamer-Community noch schlechter ankam als Flüge von malaysischen Airlines.

Leider nahm sich auch nur ein kleiner Teil der Spielerschaft diese beiden Kleinode an, denn dann wäre der Zorn vielleicht sogar tatsächlich etwas schneller verflogen. Valiant Hearts, übersetzt so viel wie „Tapfere Herzen“, ist, ähnlich dem zuvor genannten und wunderschönen Child of Light, ein 2D-Sidescroller und erzählt die Geschichte von vier Charakteren, die sich in den Irrungen und Wirrungen des Ersten Weltkriegs wiederfinden – ein Setting, das zu diesem Zeitpunkt kaum mediale Präsenz fand. Mittlerweile sieht das natürlich ganz anders aus mit Spielen wie Battlefield 1 oder Filmen wie Dunkirk und 1917. Aber damals war das Szenario noch unverbraucht und durch die vielen kleinen Infotafeln und sammelbaren Gegenstände, konnte ich noch vieles über den 1. Großen Krieg, den „Great War“, lernen.

Das Spielprinzip ist dabei sehr seicht und fast schon kindgerecht: Wir laufen von rechts nach links oder links nach rechts, meist müssen wir Personen Gegenstände geben, damit es weitergeht. Die liegen häufig einfach rum, hin und wieder müssen wir etwas knobeln. Insgesamt ist die Schlacht an der Gameplay-Front aber schnell entschieden und der Spielspaß mit dem Rücken zur Wand. Was tun? Collectibles sind schon drin, Achievements braucht kein Mensch und der stilsicher eingesetzte, Indiegame-typische Artstyle à la Rayman Origins kann auch nicht ewig begeistern. Die Lage scheint aussichtlos.

Auf einmal ein lautes Getöse in der Ferne. Verstärkung? Rettung? Am Horizont nahen sie heran und beginnen ihren Angriff: die Feels-Bomber. Welle um Welle schlagen die Emotionen ein und lassen jeden Kritiker verstummen. So soft das Gameplay auch ist, so hart trifft die Story um die Einzelschicksale der Protagonisten, die wir auf ihrem Weg durch einen sinnlosen Krieg begleiten, dessen Ursache sie weder zu verantworten haben, noch dessen Ausgang sie beeinflussen können. Es ist eine herzzerreißende Story, die so hoffnungsfroh beginnt und sich in einer steten Spirale der Grausamkeit windet, bis ich am Ende des Spiels in Tränen aufgelöst vorm Bildschirm saß. Ich bin zwar von Natur aus nah am Wasser gebaut, aber für gewöhnlich rational genug, dass mich ein Game nicht genug mitnimmt, als dass die Dämme brechen – vor allem nicht bei einem 7-Stunden-Spiel. Dafür brauchts für gewöhnlich schon ein Mass Effect-Level an Investment. Zurecht also hat das Spiel mehrere Preise abgeräumt, unter anderem für „Best Narrative“, völlig zu Unrecht hingegen nicht für „Original Dramatic Score“ (also für die Musik) – da gewannen stattdessen Destiny und Call of Duty: Advanced Warfare. Call of Duty! Muss ich mehr sagen?

Denn der Soundtrack zu Valiant Hearts liegt mir besonders am Herzen. Viele der emotionalen Stücke greifen zur Instrumentalisierung aufs Klavier zurück, was mir als talentfreien Altpianisten natürlich besonders gefällt. Da wäre zunächst das Main Theme „Little Trinketry“: Das simple Walzer-Muster wird schnell mit einem getragenen, fast tragischen Geigen-Motiv ergänzt. Trauer, Bedauern, und dann doch wieder Hoffnung, ein wenig Optimismus im farblosen Licht der Zerstörung, Hinterlassenschaften vergangener Schlachten. Noch vor Beginn des Spiels wird uns deutlich gemacht, dass hier kein Wohlfühlspiel auf uns wartet. Dieses Bild setzt sich fort mit „Broken Wing“, einem Stück, das in vielerlei Hinsicht das Abschiedsmotiv, den Aufbruch und das Verlassen vorwegnimmt, was man normalerweise in einem End- oder Credits-Theme erwarten würde.

Auch wenn es der Narrative des Spiels entspricht, klingt es nicht nach dem Beginn eines Spiels, sondern dessen Ende, nicht nach Aufbruch, sondern Abschied. Durch den Einsatz der Gitarre und der Begleitung durch die Streicher erinnert mich dieser Track an eine Akustik-Version von „A Theme for Kjell“ aus Battlefield 4 oder eine Abwandlung von „Falling Into a Dream“ aus Far Cry 3, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt im Soundtrack aber bereits eine emotionale Fallhöhe aufgebaut haben. Valiant Hearts wagt diesen Sprung direkt zu Beginn und schafft es, nicht zu pathetisch zu werden. Für mich wäre dies ein erneuter Beweis von Ian Livingstones Talent für Kriegssoundtracks, das er bereits bei der Musik zu Company of Heroes oder Napoleon: Total War gezeigt hat. Konjunktiv wohl gemerkt, denn auch wenn laut offiziellen Infos (Wikipedia) Ian Livingstone und Peter McConnell hauptverantwortlich für den OST zeichnen, handelt es sich meinem Verständnis nach eher um ein Konglomerat von Werken verschiedener Komponisten, wie Clinton Patrick Rusich bei „Broken Wing“. Weil 20 Komponisten aufzuführen aber relativ stumpfsinnig wäre, rechne ich den beiden Kompositionschefs (vielleicht ungerechtfertigterweise) einen Einfluss auf die einzelnen Werke zu und entschuldige mich für mögliche Fehler!

Zurück zu Valiant Hearts und seiner Sammlung an emotionalen Klavierstücken, die mit „Nurture“ fortgesetzt wird. Ein simples, da von mir auf dem Klavier spielbares Stück, das so viel Leid, so viel Schmerz ausdrückt, so viel Bedauern, in Wellenform auf- und abebbt und selbst gegen Ende trotz eines kurzem, kraftvollen Aufbäumens, wieder verfliegt wie ein einzelner Sonnenstrahl vor einem wolkenverhangenen Himmel. Die namentlich dazu passende „Mother Cloud“ sowie „Lonely Pebble“ sind hingegen vom Tenor positiver und erinnern eher an zuvor erwähntes Child of Light oder den Soundtrack zum Film Good Bye Lenin! von Komponist Yann Tiersen. Den Abschluss der Klavierstücke bildet „Dream Within Dreams“, ein fantastisches und würdiges Lied – dieses Mal auch berechtigterweise Livingstone zuzurechnen – das eine musikalische Conclusio zur emotionalen Achterbahnfahrt darstellt, die Valiant Hearts-Spieler durchstehen. Hierbei formt es zunächst eine Brücke zum Beginn des Spiels, erinnern die ersten Tonfolgen doch sofort an das erste Stück „Little Trinketry“. Dann beschleunigt es, schwebt sich sukzessive in die nächste Oktave und hebt damit den Zuhörer assoziativ vom Grau am Boden in himmlische Höhen. Dort verlässt es uns später – fern des Horrors des Krieges. Mit diesen sanften Worten könnte ich die Review jetzt beenden, aber es gibt auch noch weitere Tracks, dir mir gefallen… nur sind diese weniger romantisch.

So unsentimental dieser thematische Bruch wirken mag, gibt es doch zwei weitere Titel, die das exakte Gegenteil zu gefühlvollem Klaviergeklimper darstellen: „Escape the Apocalypse“ und „In the Line of Fire“- Beides sind actionlastige Tracks, die eher an die Batman-Trilogie von Christopher Nolan erinnern und mit wuchtigen Drums und Bläsern in Richtung der Battlefield-Reihe steuern, als einen Antikriegsklang zu erzeugen. Jedoch ist auch diese vergleichsweise Verherrlichung der Gewalt narrativ in das Spiel eingebunden und, wie man hören kann, musikalisch sehr gut umgesetzt. Überspitzt könnte man also behaupten, dass zwei sehr gegensätzliche Gruppen von Musikliebhabern mit diesem OST ihre Freude haben sollten, oder aber auch Hörer wie meine Wenigkeit, die gleichermaßen das Gesamtwerk zu schätzen wissen. Und wer auf 20er-Jahre-Swing steht oder französisches Liebesgeschwaller, dem seien „En avant la musique“, „Get Aboard“ und „Comme un pigeon“ noch ans Herz gelegt. Unabhängig davon sei auch jedem wärmstens empfohlen, das Spiel auszuprobieren. Es ist nicht lang, mittlerweile sehr günstig und vor allem nicht anspruchsvoll, also gibt es auch keine Skill-Ausreden: Das Spiel würde selbst ein Teenager durchkriegen … oder Jacko.


Nostalgiewarnung

Die Wertung der einzelnen Tracks ist rein subjektiv und durch meine eigene Erfahrung mit dem Spiel deutlich gefärbt. Mehr dazu findest du in dem Artikel Über Nostalgie.

Nr.TitelInterpret(en)Bewertung
01Little TrinketryDaniel Jacob Teper55/5
02Broken WingClinton Patrick Rusich55/5
03En avant la musiqueManuel Dante Mathieu Faivre; Miguel Vladimir Saboga; Yvo Abadi33/5
04Escape the ApocalypseMoritz Bintig; Francisco Becker55/5
05Never the SameDaniel Aaron Martinez44/5
06Masked Like the NightRael Jones; Michael Price44/5
07For CatrinDaniel Jacob Teper; James Ross McNair33/5
08Get AboardDaryl Neil Alexander Griffith33/5
09The Final WaitBruno Pierre Emmanuel Alexiu22/5
10Dark SecretsGregor Narholz33/5
11In RemembranceAnn Moore33/5
12Mother CloudLorne Balfe44/5
13In the Line of FireJohn Devereaux55/5
14Comme un pigeonLeo Daniel Nissim; Royo Serge Alain Utge33/5
15Death TollGregor Narholz22/5
16The Ultimate SpyGregor Narholz44/5
17Deep LonelinessValeriy Antonyuk33/5
18NurtureStephen Mark Satterthwaite; Alex Johnson; Christopher James Allen55/5
19Lonely PebbleDaniel Jacob Teper44/5
20Dream Within DreamsIan Livingstone55/5

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