Kena: Bridge of Spirits

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Erscheinungsdatum: 2021

Art: Original Soundtrack (OST)

Komponist(en): Jason Gallaty (Theophany)

Trackzahl: 90

Wertung

Sinnliche Symbiose

Sucht man im Internet nach dem Wort „knuffig“, bekommt man ein paar Definitionen vor den Latz geknallt: „Niedlich, putzig, liebenswert“, sagt der Duden, die Seite dwds ergänzt, „durch äußerliche Merkmale oder sein Verhalten Sympathie, den Wunsch nach liebevoller Zuwendung auslösend“. Und selbst gutefrage – immer ein Garant für gute Fragen und nicht minder gute Antworten – hat einen eigenen Thread. Dort schreibt Danielconnor Folgendes: „Was bedeutet „knuffig“? Wurde schon öfters von mädels [sic] so tituliert.“ Darauf antwortet emily2001 berechtigt genervt: „seufz! Die Bedeutung kann man sich ergoogeln…. Also: knuffig bedeutet: niedlich, putzig, goldig, herzallerliebst, süß, knuddelig“. Und firstanswer wirft noch hinterher: „als Junge nicht gerade das Kompliment, dass [sic] man von Mädels hören möchte…“. Ein Drama, das sich so vor 13 Jahren abgespielt hat. Was wohl aus Daniel geworden ist? Und ob er immer noch so knuffig ist?

Wo war ich? Ach ja, „knuffig“, also im Grunde „niedlich“. Dabei müsste das Wort eigentlich synonym für „Kena“ stehen, genauer gesagt Kena: Bridge of Spirits. Denn dieses 2021 erschienene Action-Adventure-Erstlingswerk vom Studio Ember Lab erfüllt alle Kriterien, um sich in den Wortstamm einzuritzen. Das Spiel, das auf Screenshots wie eine Techdemo für die Unreal Engine 4 wirkt, ist laut Kritikern tatsächlich eine sehr kompetente Geschichte über die namensgebende Kena, die als Seelenführerin die Verstorbenen ins Jenseits begleitet – also ein wenig Death’s Door oder Spiritfarer.

Der Konflikt in Form einer düsteren Korruption, die das farbenfrohe Waldidyll in Dunkelheit taucht, und der Pixar-artige Look legen derweil die Vermutung nahe, dass es sich primär um ein Spiel für die junge Zielgruppe handelt. Dass diese Annahme täuscht, beweist das recht anspruchsvolle Kampfsystem, durch das wir, gerade zu Beginn, häufiger selbst unfreiwillig vom Reiseleiter zum Reiseteilnehmer werden. Kurze Anmerkung: Das alles sind nur Infos aus dem Netz, ich persönlich habe Kena (leider) nicht gespielt und werde es mit Blick auf meinen Pile of Shame auch nicht, auf dem noch so Kleinigkeiten wie Elden Ring, Marvel’s Spider-Man oder der Red Dead Redemption-Port liegen.

Kommen wir durch diese, von mir viel genutzte, Überleitung galant zum Soundtrack des Spiels. Hierbei handelt es sich (endlich wieder) um einen richtigen OST, der nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ abliefert: Ganze 90 Tracks bei einer Dauer von über 2,5 Stunden bringt der auf die Waage – sofern man die beiden Alben Vol. 1 mit 56 Tracks und Vol. 2 mit 34 Tracks kombiniert. Komponiert wurde die Musik von Jason Gallaty, besser bekannt unter dem Künstlernamen Theophany, der auch schon den Score für den 2016 erschienenen Indie-Hit Oxenfree beisteuerte.

Wer ähnliche spacige Synthie-Klänge wie in dem Grafik-Adventure von Night School Studio erwartet, wird von Kena sehr enttäuscht sein. Das dürfte allerdings auch der einzige Grund sein, weshalb man mit diesem Score unzufrieden sein könnte. Schließlich liefert Gallaty eine hervorragend passende Musikuntermalung für das, in seinem Kern tief spirituelle, Adventure.

Es wundert hierbei nicht, dass er sich dafür ins Fernöstliche bewegt, denkt man bei den Themen Spiritualität und Seelenwanderung doch eher an die asiatischen Religionen – oder geht’s nur mir so? Wikipedia zufolge holte sich Gallaty Inspiration beim Gamelan, womit nicht die wochenendumfassenden Zocksessions in meinem Keller gemeint sind, sondern ein Sammelbegriff für traditionelle, indonesische Musikensembles. Am ehesten kann man das wohl mit westlichen Begriffen wie Big Band oder Streichquartett verständlich machen.

Dem Kena-Eintrag zufolge wurde aus Inspiration Kooperation, die der Amerikaner in der Gruppe Gamelan Çudamani fand. Deren Leiterin und Frontfrau Emiko Saraswati Susilo wollte zwar ursprünglich nicht, dass ihre traditionelle Musik in einem Videospiel verwurstet wurde, aber das Team stimmte später doch zu, um Gallaty und dem Entwicklungsstudio Orientierung für der balinesischen Kultur zu geben. Scheinbar ganz nach dem Motto: Bevor sie es falsch machen, zeigen wir ihnen, wie’s richtig geht.

Ein Glücksgriff! So wurden Teile des Scores zusammen mit Dewa Putu Berata, dem Gründer von Gamelan Çudamani, komponiert und seine Tochter Dewa Ayu Dewi Larassanti sogar Kenas Synchronstimme! Aus der ursprünglichen Suche nach einem Ensemble wurde also eine Kooperation mit dem Ziel, zu verhindern, dass traditionelle Melodien für ein Spiel ‚missbraucht‘ werden. Daraus erwuchs schlussendlich eine Symbiose, die den Entwickler*innen einen viel besseren Einblick in die indonesische Kultur gaben und Gallaty beispielsweise einen indonesischen Trauermarsch respektvoll adaptieren ließ. Wer noch mehr Hintergrundinfos möchte, kann gerne mal in dieses Interview mit Dewa Ayu Dewi Larassanti auf YouTube anschauen.

Aufgrund der schieren Masse an Tracks ergibt es wohl wenig Sinn, mit Beispielen um mich zu schmeißen oder Stücke ins tiefste Detail zu analysieren. Generell lässt sich der Score in zwei Strömungen teilen: Da sind zum einen die positiv / verspielten Stücke wie Beni & Saiya, Rot Parade oder Ascending the Mountain, in denen die traditionellen Holzinstrumente dominieren und deren liebliche Klänge von kindlicher Unschuld und Entdeckergeist zeugen. Besonders ins Ohr springt das ‚Angklung‘, ein sogenanntes Schüttelidiophon, das uns den ganzen Score über begleitet und dieses ‚Urwald‘-Feeling erzeugt, wie wir es beispielsweise von Auftritten der Korok-Baumgeister aus den neuen Ablegern der The Legend of Zelda-Reihe kennen.

Dem gegenüber stehen die Actionstücke. Selbige gefallen mir (wenig überraschend) ein Tick besser. Die dramatische, energetisch treibende Atmosphäre passt wunderbar und funktioniert sowohl als ‚generischer‘ Actiontrack (Kurulung, Taro’s Spirit Dive, Mountain Shrine), wie auch als klimaktischer Bossfight (Kappa, Wood Knight, Corrupt Taro). Gerade in diesen Momenten weht ein Hauch von Sekiro– / Avatar – Der Herr der Elemente-Feeling aus den Boxen – und das ist ja nie verkehrt.

Ungeachtet der Umstände seiner Entstehung ist das Ergebnis ein Soundtrack, der eine großartige Kombination aus östlicher Tradition und westlicher Videospielmusik darstellt. Anders als beispielsweise Ori and the Blind Forest, das in seinem Kern auf ein ähnliches Narrativ setzt, musikalisch jedoch sehr westlich geprägt ist, tauchen wir förmlich in Kena ein, betreten einen anderen Kontinent und eine andere Klangkulisse. Jason Gallaty beweist einen Feingeist bei der Zusammenführung von stilsicherer Eigenarbeit und traditionsbewusster Kooperation und ich freue mich schon auf seine weiteren Arbeiten!

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