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Der erste Kaiser: Aufstieg des Reichs der Mitte

Erscheinungsdatum: 2002
Art: Original Soundtrack (OST)
Komponist(en): Jeff van Dyck
Trackzahl: 20


Zwischen Zen und Zerstörung

Nachdem China in diesem Jahr bisher noch nicht so gut weggekommen ist, dachte ich mir, ich präsentiere heute mal wieder etwas Positives in Form eines musikalischen Geheimtipps zu einem Spiel, das ebenfalls im Reich der Mitte angesiedelt ist. Der erste Kaiser (im Englischen Emperor: Rise of the Middle Kingdom) ist eine Stadtbausimulation aus dem Jahr 2002 und verlagert das aus Pharao bekannte Spielprinzip vom antiken Ägypten ins nicht minder antike China rund 2000 vor Christus. In mehreren Kampagnenmissionen bewegen wir uns dabei durch die Jahrtausende, erleben die Invasion der Mongolen und versuchen in 48 Missionen, kleine Dörfer und gen Ende riesige Städte zu verwalten.

Wie bei Städtebausimulationen üblich müssen wir darauf achten, mit unseren Ressourcen hauszuhalten, die Bedürfnisse unserer Bewohner mit Waren zu befriedigen und uns im Zweifelsfall mit den benachbarten Siedlungen prügeln. Da das Spiel aus einer Zeit meiner geistigen Reife stammt, in der ich noch dachte, dass Mädchen doof sind und ich später Videospieltester mit wallendem Haar werde, lassen sich meine spielerischen Erfolge in Der erste Kaiser mit ‚bescheiden‘ ganz gut umreißen. Zu komplex, zu kleinteilig, und Fehler wurden knallhart bestraft. Warum mir das Game aber nie wirklich aus dem Kopf gegangen ist, war der Soundtrack von Jeff van Dyck.

„Jeff van Dyck? Das ist doch der Typ aus Disney-Filmen wie Mary Poppins.“

„Das ist Dick van Dyke.“

„Ach, dann der deutsche DJ?“

„Das ist Paul van Dyk…“

„Der von diesem Kinderlied? ‚Warum bin ich so fröhlich?‘“

„Herman van Veen, ganz wer anders.“

„Van Helsing?“

„… Gehst du gerade einfach nur Leute mit ‚van‘ im Namen durch? Nein, Jeff van Dyck, der Komponist der Total War-Serie!“

„Total wer?“

„Ach, fick dich.“

Genau, Jeff van Dyck, der dem nicht minder schweren, aber dank Cheats deutlich positiver in Erinnerung gebliebenen, Rome: Total War (bzw. Total War: Rome, wie es heute heißt) seinen ikonischen Soundtrack verpasst hat. Nun stelle ich immer wieder fest, dass gerade zur ‚Anfangszeit‘ der Videospiele – an dieser Stelle erwarte ich das pantomimische Säbelrasseln der Ü40-Fraktion, die mir nachdrücklich und unter Einsatz von Worten wie ‚Jugend‘ und ‚ignorant‘ zu verstehen geben möchte, dass es Videospiele schon vor 1990 gab und ich ja keine Ahnung hätte – Komponisten aufgrund ihrer Unerfahrenheit noch weniger experimentierfreudig waren. Ist ja auch logisch, Schuster bleibt bei seinen Kompositionen. Das merkt man, wenn man zum Beispiel die frühe Arbeit von Jeremy Soule betrachtet und feststellt, dass ein Harry Potter wie ein Knights of the Old Republic wie ein Neverwinter Nights klingt. Kann natürlich auch einfach der persönliche Stil sein.

Eine ähnliche Verwandtschaft merkt man ebenso bei van Dycks Der erste Kaiser-OST, der in seinen Actiontracks wie eine asiatische Auskopplung der Total War-Reihe klingt. Doch halt, die gibt es doch schon in Form von Shogun: Total War! Berechtigter Einwand, auch wenn das eine in Japan spielt und das andere eben in China. Allerdings geht es in Der erste Kaiser nicht nur ums Kämpfen, sondern auch ums Stadtmanagen, weshalb der Großteil der Musik eher in Richtung SimCity driftet.

Bestes Beispiel, an dem man auch die generelle Instrumentalisierung abhandeln kann: „Di Zi Feeling“ (großartiges Wortspiel by the way). Wir hören Klangschalen, orientalische Flöten, ein Erhu (zweisaitige asiatische Geige) und Tamburine. Der Song ist entspannt, zurückhaltend und etabliert erst in der Mitte eine positive Melodie, bei der man förmlich den gut gelaunten Reisbauern sieht, wie er unter der unerbittlichen Sonne für unser Wohlgefallen und die Nahrungsspeicher schuftet. Da sag nochmal einer, dass früher alles besser war.

Diese geistigen Bilder setzen sich fort, wenn „Buddha’s Dream“ mit Harfen und Glockenspielen zur Meditation einlädt oder „Happy Qu Di“ mit seinem steten Rhythmus und Einsatz des Gongs ein geschäftiges Treiben simuliert. Zum Vergleich: Im „Zone System“ (Jerry Martin) aus SimCity 4 geschieht dies vermittels E-Gitarre.

Wie bereits gesagt, kann van Dyck die Verwandtschaft zwischen Der erste Kaiser und seinen vorherigen Kreationen nicht immer verstecken. Denn anders als bei seinen späteren Kompositionen für Shogun, bei denen der Komponist viele originelle Stücke und neue Ansätze verfolgen wird, klingen die Battle-Tracks nach einer entsättigten Version von Rome: Total War in Asien – und das ist nichts Schlechtes.

Besonders deutlich wird dies direkt im ersten Track „Attack of the Feng Luo“, der sich am ehesten mit „Time to Kill“ aus Rome vergleichen lässt. Bei beiden geben Trommelrhythmen den Takt vor, beide featuren Streicher, die in Wellenform Spannung aufbauen. Die Unterschiede hingegen sind marginal, beim europäischen Pendant sind die Drums dominanter, im Kaiserreich lädt der Gong zum Kampf. Oder „Xiao Luo Conflict“ als asiatische Variation von „Melee Cafe“.

Anders als der ältere Bruder ist die Instrumentalisierung bei Der erste Kaiser reduzierter und weniger brachial. Auch die Vocals, die zum Einsatzkommen, sind zurückhaltender, uns ballert kein Männerchor in die Ohren, dass die Zeit des Blutvergießens gekommen sei. Stattdessen rufen einzelne Stimmen mutmaßlich chinesische Worte – verglichen mit einem „Ona Hei“ für Total War: Shogun 2 ein Unterschied so meilenweit wie die Distanz von Peking nach Tokyo.

Wenn er nicht gerade zwischen diesen Extremen schwankt – den knalligen Kampftracks auf der einen und der lethargischen Selbstfindung durch Städtebau auf der anderen – ist der Rest des Soundtracks gute bis sehr gute Asiakost, die einem auch nicht erneut auf dem Klo begegnet. Tracks wie „Bo Luo Vo La“, „Dance of the Great Wall“ und „Himalayan Echos“ sind gleichsam zurückhaltend genug, um nicht aufdringlich zu sein, aber treibend genug, um nicht zu langweilen. Festivitätslmusik à la „Guan Zi Festival“ und „The Jolly Emperor“ reihen sich nahtlos zwischen gutturalem Lautgestöhne (im Fachjargon Obertongesang genannt) bei „Journey of the Gu Qin“ und Pangeflöte in „Temple of Zhong“ ein.

Eine bunte Mischung also, bei der ich abschließend erneut hervorheben möchte, dass mir aus jedem dieser Teilaspekte des Soundtracks bestimmte Songs besonders gut gefallen. Van Dyck zeigt in diesem OST für mich, dass er nicht nur die Schlachtenmucke gemeistert hat, sondern durchaus auch die seichte Hintergrundberieselung, die bei den Total War-Games durch den starken Kontrast zur Action deutlicher abfällt.

Für wen ist die Musik also etwas? Asiafans sollten auf jeden Fall mal reinhören, Freunde der Total War-Reihe sowieso. Und vielleicht gibt es ja auch solche, die immer schon einmal wissen wollten, wie SimCity wohl im Chinasetting klingen würde. Ich glaube, näher kommt man diesem Wunsch wohl nicht.


Nostalgiewarnung

Die Wertung der einzelnen Tracks ist rein subjektiv und durch meine eigene Erfahrung mit dem Spiel deutlich gefärbt. Mehr dazu findest du in dem Artikel Über Nostalgie.

Nr.TitelInterpret(en)Bewertung
01Attack of the Feng LuoJeff van Dyck55/5
02Battle of the Tang GuJeff van Dyck44/5
03Bo Luo Vo LaJeff van Dyck55/5
04Buddha's DreamJeff van Dyck33/5
05Dance of the Great WallJeff van Dyck44/5
06Di Zi FeelingJeff van Dyck33/5
07Guan Zi FestivalJeff van Dyck44/5
08Happy Qu DiJeff van Dyck33/5
09Himalayan EchosJeff van Dyck55/5
10The Jolly EmperorJeff van Dyck33/5
11Journey of the Gu QinJeff van Dyck44/5
12Lonely Er HuJeff van Dyck55/5
13Pi Pa VillageJeff van Dyck33/5
17The Rising SunJeff van Dyck33/5
14San XuanJeff van Dyck22/5
15Sunset CeremonyJeff van Dyck44/5
16Temple of ZhongJeff van Dyck44/5
18Village of the VictorsJeff van Dyck33/5
19War of the ElephantsJeff van Dyck44/5
20Xiao Luo ConflictJeff van Dyck55/5

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