Anthem

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Erscheinungsdatum: 2019

Art: Original Soundtrack (OST)

Komponist(en): Sarah Schachner

Trackzahl: 23

Wertung

Trauriger Lobgesang

Es gab eine Zeit in der Videospielgeschichte, in der man bedenkenlos Spiele des kanadischen Entwicklerstudios BioWare kaufen konnte. Die Rollenspielveteranen hatten mit Baldur’s Gate, Neverwinter Nights, Star Wars: Knights of the Old Republic, Dragon Age: Origins und nicht zuletzt Mass Effect bis Anfang der 2010er-Jahre bewiesen, dass sie Qualität ablieferten.

Doch das makellose Ansehen bekam zusehends Risse: Während gute Games wie Star Wars: The Old Republic und weniger gute Spiele (Mass Effect 3, Dragon Age II) immer noch erfolgreich waren, merkte man spätestens mit Dragon Age: Inquistion und Mass Effect: Andromeda, dass die Spieleschmiede mächtig in die falsche Richtung produzierte. Ob nun bedingt durch Publisher Electronic Arts oder den Weggang kreativer Köpfe aus dem Team lässt sich von außen nur schwer sagen.

Gänzlich versaute den Ruf schließlich das 2019 erschienene Anthem, das mit einem Metascore von 59 und einem User Score von 4.0/10 den traurigen Tiefpunkt der Videospielgrafie des Entwicklers darstellt. Unterboten wird dieses beklagenswerte Bild nur von der 3.9 Nutzerwertung für Dragon Age: The Veilguard, das zumindest bei den Kritikern mit 82 Punkten vergleichsweise gut wegkam.

Was ist schiefgelaufen? Nun, was nicht? Schlechtes Marketing mit falschen Versprechungen, das Beharren auf eine unpassende Engine und ein fixes Releasedatum sorgten dafür, dass ein unfertiges Spiel auf den Markt geworfen wurde. Als Resultat konnte Anthem seine vollmundigen Versprechen nicht halten und wurde trotz Game-as-a-Service-Modells kurze Zeit später abgesägt. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Anthem machte den Suicide Squad: Kill the Justice League, bevor es cool war.

Das ist mehr als beklagenswert, denn in beiden Fällen steckte ja sehr viel Potenzial in der Prämisse. Gerade das Fliegen im Iron Man-artigen Mechanzug sah schön wie spaßig aus und auch bei Suicide Squad war die Idee, mal die Bösen zu spielen, auch nicht verkehrt. In beiden Fällen war jedoch wieder ein aufgesetztes Spiel- und Bezahlmodell schuld an einem unausgereiften und schlicht plattem Spielerlebnis. Gut, ich höre auf, über Spiele zu ranten, die ich selbst nicht gespielt habe, und spreche über schönere Dinge wie den Soundtrack.

Sarah Schachner, die für die 23 Tracks des OSTs verantwortlich zeichnet, kannte ich bereits von ihrer hervorragenden Arbeit für Assassin’s Creed Unity (2014) und Assassin’s Creed Origins (2017) sowie das spätere Assassin’s Creed Valhalla (2020) nebst ein paar der neueren Einträge der Call of Duty-Reihe. Ihr Stil, der sich besonders durch dominante Streicher und eine implizierte Weite in ihrer Komposition auszeichnet, findet sich auch in den ruhigeren Stücken von Anthem wieder.

Im Gegensatz zu ihren anderen Werken kommt dieser Score jedoch etwas ‚generischer‘ daher … nur eben auf hohem Niveau. Die sphärischen Choräle, wie man sie für ein Sci-Fi-Abenteuer fast schon erwartet, geben Tracks wie Legion of Dawn oder The Chimera einen gewissen Halo-Flair. Dem gegenüber stehen Actiontracks wie The Freelancers, Strong Alone, Stronger Together und The Monitor Songs, die der Dramatik der Marvel-Filme, insbesondere des Iron Man-Scores, nacheifern – wie passend. Into the Heart of Rage versprüht indes dezenten Dragon Age: Inquisition-Charme.

Ihre mysteriöse, Cello-zentrierte Saite (höhö) lässt Schachner indes bei Stücken wie Ancient Mysteries oder The Fall of Freemark durchscheinen, die bei mir wohlige Erinnerungen an ihre fantastische Arbeit für Assassin’s Creed Origins wecken. Die schnelleren, dramatischeren Kampf-Stücke (The Titan, Outlaw Ambush, In the Shadow of the Gods) wirken indes etwas mehr von der Stange und lassen eine Verwandtschaft zur Call of Duty-Serie erahnen. Das ist insofern nicht schlimm, als dass gut platzierte In-die-Fresse-Musik dank ihrer Simplizität funktionieren kann, und im Fall von Anthems Soundtrack unterbricht sie ruhigere Passagen wie bei The Freelancers oder Haluk’s Wisdom.

Mein Highlight – auf das alle Leser*innen dieser Review natürlich schon gewartet haben – stellt mit Valor ein Vertreter der Actiontracks dar. Denn hier kombiniert Schachner die Synthie-Einflüsse, die Origins seine mystische Fremdartigkeit verliehen haben, mit Fanfaren. Aus dieser Ouvertüre marschiert der Track mit stolzgeschwelter Brust in heroischem Epos Marke Overwatch. Doch Valor bleibt durch das Didgeridoo wild, unbezwungen, bevor erneut die Bläser zur Heldentat rufen.

Und damit ist fast alles zum Score gesagt. Auch wenn Anthem ursprünglich noch lange mit Content (und folglich auch Musikstücken) versorgt werden sollte, kam nichts mehr. Tatsächlich gibt es dem AnthemFanwiki zufolge dennoch Musik, die nicht im OST auftaucht. Dabei handelt es sich jedoch um fünf Tracks von Ted Reedy (hier „Dylan“ genannt), die er 2017 für das erste offizielle Gameplay komponierte. Warum später Schachner und nicht er für den Score angeworben wurde, weiß derweil niemand, obwohl sie auf seinem Thema aufbaut.

Die besagten Tracks konnte ich zwar nicht finden, dafür bin ich bei meiner Recherche über dieses Behind-the-Scenes-Video gestoßen, in dem der Entstehungsprozess der Soundeffekte gezeigt wird. Hat zwar nichts mit der Musik zu tun, cool ist es trotzdem. Also: Daumen hoch für den Score, Daumen runter fürs Spiel und einen großen Mittelfinger für diese Timeline, in der so großartige Studios wie BioWare dazu gezwungen sind, Müll zu produzieren und nicht das, was sie einst großgemacht hat.

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