Mass Effect 2
Der leuchtende Stern am Rollenspielfirmament
Der zweite Teil der Mass-Effect-Triliogie aus dem Hause Bioware erschien drei Jahre nach seinem Vorgänger – ganze drei Jahre! Unvorstellbar. Beim bloßen Gedanken stehen EA– und Activision-Manager ja kurz vorm Herzinfarkt. Dabei wurde Mass Effect 2 ja sogar von EA vertrieben… o tempora, o mores – was ist nur aus dir geworden EA? Aber 2010 war eben eine andere Zeit. Ich schweife ab.
Teil 2 stellt eine fast nahtlose Fortsetzung zum ersten Mass Effect dar. Erneut schlüpfen wir in die Rolle von Commander Shepard, erneut müssen wir bösartige Alien-Aggressoren bekämpfen, und auch dieses Mal steht das Schicksal des Universums auf dem Spiel. Dabei werden wir von unserer Crew aus alten und neuen Gesichtern unterstützt, die sich uns im Verlauf der Geschichte anschließt und dieses Mal umfangreicher ausfällt, als noch im ersten Teil. Und natürlich ist auch wieder unser eigenes Raumschiff, die Normandy, mit von der wilden Hatz.
Alles beim Alten?
Darauf kann man antworten wie Familien, die sich etwas zu sehr lieb haben, auf die Frage antworten, ob es bei ihnen Fällen von Inzucht gäbe: Mit Nichten! Kaum finden wir uns im ersten Feuergefecht wieder, wird eine der ersten größeren Änderungen deutlich: Mass Effect 2 ist deutlich actionlastiger als der Vorgänger. Deckungssuche ist nun elementar, strategisches Vorrücken und gezielter Einsatz der Spezialfähigkeiten unabdingbar, und gezielte Schüsse überlebenswichtig. Denn während man im Vorgänger nur müde aus der Deckung ballerte und hin und wieder mal ein Medigel einwerfen musste, ist man im Nachfolger gezwungen, sich auf die Strategien der Gegner einzustellen und ihnen durch cleveres Flankieren in den Rücken zu fallen. Spannender werden die Kämpfe nicht zuletzt auch aufgrund der neu eingeführten Munition. Wer in typischer Rambo-Manier wild um sich schießend in einen Raum rennt, findet sich später häufig in ausweglosen Situationen, die dann im Neuladen resultieren.
Schade ist allerdings, dass viele der aus Mass Effect 1 bekannten Talente, aktiven Fähigkeiten weichen mussten – der Schritt zu mehr Action wird noch unübersehbarer. Das ist allerdings kein Manko, denn das neue Tempo passt sich wunderbar ins Spielgefühl ein und unterstreicht die Narrative der Geschichte: Wir sind ein Commander mit einer Mission, und als solcher müssen wir doch wohl in der Lage sein, per Knopfdruck über kleinere Hindernisse zu springen, und Horden von Menschen, Alien und Roboter über den Haufen schießen, oder?
Natürlich kann man Mass Effect 2 so spielen, aber es bleibt auch nach wie vor ein Rollenspiel … mit Action… aber auch Rollenspiel. So kann Shepard auch ganz friedvoller Töne anstimmen, um Konflikte lieber mit Worten als mit Waffen zu lösen. Aber auch das Dialogsystem ist nun um einiges direkter. Musste man im ersten Teil noch Talentpunkte in Kategorien wie Schmeicheln und Einschüchtern stecken, entfallen diese Skills nun komplett. An ihre Stelle treten Quicktime-Optionen, durch die wir in bestimmten Gesprächen direkt intervenieren.
Beispiel: Wir finden einen Überlebenden, der kurz vorm psychischen Zusammenbruch steht. Wir können uns mit ihm unterhalten und versuchen, ihn zu beruhigen, oder aber mit einem gezielten Schuss neben seinen Kopf zur Raison bringen – das spart Zeit, wird allerdings mit Abtrünnigkeitspunkten geahndet. Wer sowieso kein Vorbild sein will, freut sich nun, dass er das Gebrabbel um 5 Minuten verkürzt hat. Alle anderen ignorieren die Option einfach, lassen das Gespräch seinen Gang gehen und können umgekehrt am Ende sogar mitfühlende Worte sprechen, was sich positiv aufs Karmakonto auswirkt.
Die Nebenmissionen und andere Wichtigkeiten:
Wer den Vorgänger kennt, weiß auch um die Qual, die sich da nannte: Exploration. Zwar war der Sci-Fi-Offroad-Panzer „Mako“ ein cooles Gefährt… nur leider waren die Planetenoberflächen mit ihren immer gleichen Erkundungsmissionen in den immer gleichen Bunkern und Minenschächten auf Dauer echt nervig. Muss man zwar nicht machen, wer aber wie ich alles sehen will, sieht so halt auch diese hässlichen Seiten. Bioware hat daraus gelernt und die Nebenmissionen in Mass Effect 2 in zwei Arten aufgeteilt: Begleitermissionen und die Standard-Nebenmissionen. Erstere befassen sich, wie der Name erahnen lässt, mit der Hintergrundgeschichte eines eurer Crewmitglieder. Mal ist es die verlorene Schwester, die gefunden werden will, mal ein unerfüllter Auftrag, der unseren Kameraden belastet. Und häufig Vergangenheitsbewältigung. Erfüllen wir die Mission, steigert dies die Achtung des Crewmitglieds zu uns. Zusätzlich gibt’s noch ein alternatives Outfit und eine einzigartige Fähigkeit. Für alle, die das Maximum aus ihrem Team rausholen wollen, sind die Begleitermissionen also schon mal Pflicht.
Die normalen Nebenmissionen gibt’s dagegen wie gewohnt durch Questgeber und in Form von Anomalien auf erkundbare Planeten. Statt aber auf jedem vierten Planeten zu landen, scannt man die jetzt in Form eines Minispiels nach Ressourcen ab. Die braucht wir zum Verbessern unserer Ausrüstung und der Normandy. Überall winken als Belohnungen neben Items auch Erfahrungspunkte. Die sind, wie bereits erwähnt, aufgrund des verkleinerten Skilltrees nicht mehr so essenziell wie im Vorgänger. Wer zwei aktive Fähigkeiten zum Maximum gesteigert hat, kann auch so schon genug ausrichten. Nebenmissionen sind also wirklich Nebenmissionen. Wer Bock auf Erkundung hat, freut sich über die Belohnungen, wer lieber der Hauptstory folgt, hat keine zu großen Nachteile. Übrigens: Wer seinen Shepard aus Mass Effect 1 importiert, startet mit ein paar Vorteilen wie Startguthaben, einem Gesinnungsbonus und Erfahrungspunkten. Plus die Tatsache, dass getroffene Entscheidungen sich direkt in Teil 2 auswirken: Wir haben Person X in Teil 1 sterben lassen? Schade, dann gibt’s auch in Teil 2 kein glückliches Wiedersehen.
Ein Plädoyer für gute Fortsetzungen
Ich mag Mass Effect 2 aus zwei simplen Gründen: Es besinnt sich auf seine Stärken und schraubt da, wo der Vorgänger in meinen Augen etwas schwächelte. Rollenspieler mögen bittere Tränen über den radikal gekürzten Talentbaum weinen. Dafür freuen sich Actionliebhaber über anspruchsvollere Kämpfe und größerer taktische Vielfalt. Ich persönlich finde es nicht schlimm, dass weniger Talente zur Auswahl stehen, da im Gegenzug die aktiven Fähigkeiten deutlich varianten- und abwechslungsreicher gestaltet wurden. Auch das fehlende Item-Management aus Teil 1 vermisse ich nicht. Wenn ich mich zurückerinnere, wie im Teil 1 Ashleys quietschrosa Rüstung von Manne zu Manne ging, und ich mit meinem buntzusammengewürfelten Team in chamäleonfarbenen Anzügen durch die Citadel rannte, halte ich die Reduktion aufs Wesentliche eher für einen Fortschritt. Manchmal ist weniger mehr. Und dabei ist Mass Effect 2 ja noch nicht mal weniger. Die Welt ist größer, die Geschichte spannender, die Charaktere tiefer. Und die Musik? Ein Träumchen.
Wegen all dieser Gründe finde ich, dass Mass Effect 2 einen würdigen Nachfolger zum ersten Teil darstellt. Es bringt Veränderung mit sich, beweist aber gleichzeitig, wie positive Veränderungen aussehen können, ohne den Kern eines Spiels oder einer Marke zu tangieren. Eine Verbesserung auf allen Ebenen also. Das kann ja nur gutes Bedeuten für die Zukunft der Marke Mass Effect, oder? Teil 3 wird bestimmt super, oder? Und vielleicht gibt’s ja noch ein Spin-Off, in einem anderen Setting? DAS WIRD BESTIMMT AUCH SUPER, ODER? ODER?!