Assassin’s Creed Mirage
Erscheinungsdatum: 2023
Entwickler: Ubisoft Bordeaux
Genre: Action-Adventure
Spieldauer: 23 Stunden
Viel Assassin’s Creed, zu viel Valhalla
Vor vier Jahren erschien mit Assassin’s Creed Valhalla der letzte große Teil der Serie, die eigentlich schon dieses Jahr mit Assassin’s Creed Shadows ins feudale Japan des 16. Jahrhunderts abtauchen sollte. Doch entgegen allen modernen Konventionen wurde der Releasetermin auf Februar 2025 verschoben. Passiert es also doch noch? Wird ein Spiel vor Veröffentlichung fertiggestellt? Oder war das Game einfach in einem so schlechten Zustand, dass nicht einmal Ubisoft das Risiko eingehen wollte, potenzielle Spieler*innen zu vergraulen?
Diese Frage werden wir frühstens Anfang nächsten Jahres beantworten können, nachdem der Ninja-Ableger erschienen ist. Bis dahin gibt es allerdings noch eine weitere Meuchelmahlzeit in Form von Assassin’s Creed Mirage. Das spielt zwar nicht im England des Frühmittelalters, dreht sich allerdings ebenfalls um einen Charakter aus dem Wikingerableger: Basim. Den hatte es als Vertreter des Assassinen-Ordens in den hohen Norden verschlagen, um Held/Heldin Eivor irgendeine Connection zum Spieleuniversum und natürlich der versteckten Klinge zu bescheren.
Bagdad weg
In Mirage wird nun also die Hintergrundgeschichte von Basim in Bagdad erzählt, was mit Blick auf das Ende von Valhalla eine durchaus naheliegende Entscheidung war. Allerdings bedeutet dies auch, dass Personen, die den Wikinger-Ableger nicht gespielt haben, mit dem Charakter fremdeln dürften. Denn, und das muss man erwähnen, ist Mirage ursprünglich als DLC geplant gewesen. Das erklärt auch die überschaubare Spieldauer von ca. 15 Stunden, wenn man nur die Main Quest spielt. Ich habe für meine 100% Completion (Achievements mal ausgelassen) ca. 23 Stunden gebraucht.
Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass auch Brotherhood als DLC für Assassin’s Creed II gedacht war, Revelations eigentlich für den 3DS erscheinen sollte oder Spin-Offs wie Freedom Cry, Liberation oder Rogue einen ähnlichen Ansatz fahren. Gerade die letztgenannten, die allesamt mit neuen Protagonist*innen daherkommen, haben jedoch immer nur peripher etwas mit dem eigentlichen Spiel zu tun, und nur Rogue könnte man als Prequel für Unity und Assassin’s Creed III bezeichnen. Bei Mirage geht es derweil lediglich um das Schicksal eines Mannes, der erst später relevant wird und hier ziemlich eindimensional daherkommt. Dadurch ist es fast schon Pflicht, sich mit Valhalla auszukennen, um irgendeine Form von Bindung aufzubauen.
Wer im Übrigen keine Ahnung von der Reihe um Templer und Assassinen hat und bei den ganzen Spielenamen gerade geistig ausgestiegen ist, wird der Story von Mirage trotzdem folgen können, da die Handlung wirklich nur dazu da ist, die Charakterentwicklung von Basim zu beschreiben – und das ist über weite Strecken ihre größte Schwäche. Denn die Geschichte ist besonders zu Beginn unfassbar belanglos und bekommt erst im letzten Akt wirklich Drive.
Das fängt schon damit an, dass für Basims Backstory ins große Einmaleins der Klischees gegriffen wurde: Er ist ein Straßendieb, der für die Assassinen (bzw. damals noch ‚Hidden Ones‘, also ‚Verborgenen‘) arbeitet und gerne ein Teil von ihnen werden möchte. Das wird nicht durch subtiles Storytelling vermittelt, sondern im großen Expositionsmarathon durchgeprügelt. Innerhalb der ersten halben Stunde geht dann auch etwas schief, weshalb Basim Bagdad verlassen muss und ohne viel Hin und Her in den Assassinen-Orden aufgenommen wird. Eine kurze Trainingsmontage (mit Technomusik!) später sind wieder schon wieder in der Hauptstadt des Kalifats und sollen den Templer-Orden (bzw. damals noch ‚Order of the Ancients‘, also ‚Orden der Ältesten‘) zerlegen.
Mirage zeigt hier in sehr kurzer Zeit, dass es ihm überhaupt nicht darum geht, eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern uns möglichst schnell in den Gameplay-Loop von früher zu bringen. Fast fragt man sich, warum wir uns überhaupt die erste Stunde geben müssen, wenn Basims Vorgeschichte so begeisterungsarm und gehetzt präsentiert wird. Andererseits gab es auch genug Leute, die von den ausschweifenden Kindheitsvorgeschichten von Ratonhnhaké (AC III) oder Arno (Unity) genervt waren – vielleicht kann man es niemandem recht machen.
Früher war mehr Vendetta
Dennoch wirkt es so zu Beginn so, als hätte die Chefetage sich mein Fazit von Valhalla zu Herzen genommen und würde wieder auf alte Tugenden setzen. Denn im Loop angekommen, macht Mirage durchaus Spaß. Wie früher haben wir wieder Zielpersonen, über die wir nach und nach neue Informationen sammeln und uns so durch das Geflecht der Ordensmitglieder meucheln, bis wir das Oberhaupt finden. Dabei ist die Reihenfolge nicht vorgegeben, uns stehen nach der Ankunft in Bagdad alle Bereiche der Stadt und Außenwelt offen. Wer also, wie ich, erst einmal die ganze Karte aufdecken und alle Collectibles finden möchte, kann das genau so tun, wie diejenigen, die mit Scheuklappen stur der Geschichte folgen.
Anders als bei den anderen Vorgängern bestraft Mirage diesen Entdeckungsdrang nicht, sondern lädt uns geradezu ein, uns umzusehen. So decken die serientypischen Aussichtspunkte nicht mehr alle Schätze auf der Karte auf, sondern geben uns nur Marker, die wir abklappern können oder im Vorbeilaufen entdecken. Darin finden wir unter anderem Materialien, die wir zum Verbessern unserer Ausrüstung brauchen. Die verschiedenen Waffen und Rüstungen sorgen zwar nicht direkt dafür, dass sich an unserem Schadensoutput etwas ändert, liefern indes jedoch unterschiedliche Boni wie das leisere Ausschalten von Wachen oder einen langsameren Anstieg unseres Fahndungslevels.
Mirage ist jedoch kein Rollenspiel. Wie in den alten Teilen gibt es dankenswerterweise keine Gegnerlevel mehr und mit ein paar Ausnahmen lassen sich alle Feinde durch den Einsatz der versteckten Klinge oder eines gut gezielten Wurfmessers mit einem Treffer erledigen. Vorbei sind die Zeiten von Origins und Co, die uns mit ihrem Action-Adventure-Ansatz nach immer besserer Ausrüstung haben suchen lassen, um unsere Schadenswerte nach oben zu treiben. Das mag Zahlenfetischisten übel aufstoßen, aber die sollen sich eben an Franchises wie Diablo oder Borderlands auf der Suche nach dem besten Build probieren. Alleine diese Änderung sorgt dafür, dass sich Basims Abenteuer viel old-schooliger spielt, ohne dabei jedoch veraltet zu wirken.
Dieses Gefühl wird durch das Hinzufügen alter Mechaniken nochmal verstärkt, wie das eben genannte Fahndungslevel. Das steigt stufenweise, je mehr Wachen wir erledigen, und sorgt dafür, dass wir auf der Straße erkannt werden. Abbauen lässt sich dies durch die Bestechung von Marktschreien oder dem Entfernen von Steckbriefen. Richtig gehört, es gibt sie wieder, die Steckbriefe, deren Abreißen uns auf magische Weise weniger gesucht machen. Zum Glück nervt dieses System kaum, und dass wir mal für längere Zeit untertauchen müssen, kommt ebenso selten vor.
Beim Entdecken von Bagdad und Umland, durch Taschendiebstahl oder durch die Erfüllung kleinerer Nebenquests erhalten wir zudem Tokens. Als offiziell anerkannte Währung und scheinbar heiß begehrte Ware können wir diese eintauschen, um beim Händler bessere Preise zu erzielen oder einen Söldnertrupp auf nahestehende Wachen zu hetzen, damit wir unbemerkt vorbeihuschen können. Auch das kennen wir aus den früheren Teilen. Diese Optionsvielfalt überträgt sich ebenso auf die Missionen, in denen wir durch das etablierte Freeclimbing-System eine Vielzahl von Möglichkeiten haben, ergänzt nun durch die alten Tugenden.
Das erinnert herrlich ans allererste Assassin’s Creed, in dem wir in der Menge untertauchen und so in einer Gruppe Mönchen an Wachen vorbeigehen konnten. Dadurch werden Spielmechaniken wie Schleichen oder der Einsatz von Gadgets wieder belohnt, die in Valhalla überflüssig wirkten. Ich will ja nicht sagen, ich hab’s euch gesagt, aber ich hab’s euch gesagt. Allerdings können wir uns auch durch die Gegner schnetzeln und den Schleichpart deutlich abkürzen. Aufgrund der unterschiedlichen Gegner- und Angriffstypen, ist das jedoch nicht mehr so einfach wie in Assassin’s Creed II, wo sich unsere Widersacher fein nacheinander haben auskontern lassen.
Alles gut im Staate Kalifat?
Also ein Assassin’s Creed der alten Schule, das frühere Tugenden bewahrt und durch neu Gelerntes ergänzt? Die perfekte Symbiose aus Damals und Heute? Da muss ich leider direkt den Dämpfer rausholen, denn weder früher noch heute war bzw. ist alles perfekt. So erbt Mirage ein paar der Probleme seiner Vorgänger. Einer der größten Kritikpunkte dürfte hier wohl die KI sein, die uns bei unseren Schleichaktionen kaum gefährlich wird und kurz nach dem Tod eines Kameraden zu ihrem Alltag zurückkehrt, als sei nichts gewesen. Eine Steigerung des Alarmlevels oder Anpassung von Patrouille-Routen findet nicht statt, höchstens im Kampf wird mal nach Verstärkung geblasen und selbst das lässt sich durch ein gezieltes Wurfmesser schnell unterbinden.
Der andere Pferdefuß ist die Klettermechanik. Denn die basiert auf dem System von Origins, Odyssey und Valhalla, die in primär dünnbesiedelten Regionen spielen. In Mirage sind wir indes zu 90 Prozent in verwinkelten Gassen und auf Häuserdächern unterwegs. Hier stößt das Parkour-System, das nach Unitys herrlichen Akrobatik-Moves reduziert wurde, schnell an seine Grenzen. Das Ergebnis ist, dass wir recht häufig von Häusern springen, an Vorsprüngen baumeln oder auch einfach mal festhängen.
Darunter leidet die Immersion des ansonsten fantastisch anzusehenden Bagdads. Die Grafik kann auf Ultra fast immer überzeugen, allerdings primär bei der Kulisse. Schaut man sich hingegen die Stadtbewohner oder einzelne Texturen genauer an, beginnt die Illusion schnell zu bröckeln: tote Augen, fehlende Mimik und Haare bar jeder logischen Beleuchtung sind wohl das größte Manko. Doch die malerische Stimmung wird auch dann getrübt, wenn Basim an Menschenmengen oder Objekten festhängt, auf der Stelle läuft oder durch die teils unpräzise Steuerung bescheuerte Manöver ausführt, die wir so gar nicht im Sinn hatten. Auch die ständig verschlossenen oder verrammelten Türen und Fenster lassen uns hin uns häufiger am Kopf kratzen, auch wenn es nicht an das Assets-Recyclingsdebakel von Valhalla herankommt.
Hinzu kommen noch kleinere Kritikpunkte, die sich jedoch in vielen modernen Spielen wiederfinden lassen: Warum gibt es einen dynamischen Tag-Nacht-Wechsel, wenn die Straßen immer gleich voll und die Händler*innen zu jeder Tages- und Nachtzeit an ihrem Stand rufend ihre Ware feilbieten? Warum deutet ein rotes Icon bei Truhen darauf hin, dass es sich um Diebstahl handelt, wenn es keinerlei Konsequenzen gibt? Und dass ich die Fackel nur ein einziges Mal tatsächlich einsetzen musste und sie ansonsten prominent einen Punkt in meinem Gadget-Inventar belegt, leuchtet (höhö) mir ebenso wenig ein. Die Frage, wieso man Tasten halten muss, um eine Aktion auszuführen, stelle ich derweil gerne der gesamten Gamesbranche.
Fazit
All diese Punkte sorgen dafür, dass Mirage nicht an alte Größen heranreicht, was mit dem überschaubaren Umfang nicht verwundern dürfte. Das Spiel ist allerdings ein sehr guter Testballon, um zu sehen, wie welche Features in zukünftigen Teilen koexistieren könnten. Und das würde ich mir wünschen, denn die Assassin’s Creed-Reihe bleibt eine der wenigen Serien, die Geschichte und Fiktion so wunderbar in Einklang bringen, dass man sich in die Vergangenheit transportiert fühlt: Das Artdesign ist wunderschön, die Sprecher mit ihren authentischen arabischen und mediterranen Aussprachen passenden und über den Soundtrack habe ich noch gar nicht angefangen – so viel: top notch!
Doch die Altlasten sind noch nicht alle beseitigt und generelle Probleme wie eine packende Geschichte kann dieses Experiment natürlich nicht angehen. Aber es zeigt die Probleme auf und stellt hoffentlich ein gutes Bindeglied zu zukünftigen Teilen dar, die sich weiter auf die Stärken von Assassin’s Creed besinnen. Und vielleicht, vielleicht könnte ja eine neue Grafikengine dafür sorgen, dass wir endlich sehen, wie sich Charaktere die Kapuze überziehen, statt immer peinlich wegzuschneiden. Das wäre doch schön.