Ravenswatch
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Erscheinungsdatum: 2024
Entwickler: Passtech Games
Genre: Rogue-like
Spieldauer: 70 Stunden


Federbeißer
Ich glaube nicht, dass man 2025 noch groß erklären muss, was sich hinter dem Genre der Rogue-likes bzw. Rogue-lites versteckt. Für alle, die bei dem Begriff trotzdem wie Rotkäppchen vorm Bösen Wolf stehen, hier ein kleiner Abriss: Ein Rogue-like/-lite ist im Grunde ein sehr kurzes Videospiel, dessen Länge maßgeblich von unserem Können und unseren Entscheidungen abhängt. In jedem Spiel starten wir einen Durchlauf, auch Run genannt, und versuchen, so weit wie möglich zu kommen. Wenn wir dann am Ende den Endboss bezwingen, haben wir’s geschafft! So weit, so ziemlich jedes Videospiel.
Doch auch beim Genre der Rogue-Spiele können wir dabei sterben – und wenn das (zu häufig) passiert, scheitern wir und der Durchgang endet. Der Weg ist also im wahrsten Sinne des Wortes das Ziel und Rogue-likes wie Hades, Darkest Dungeon oder Slay the Spire schaffen es, diese Runs so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, damit jeder Fehlversuch genug Motivation für einen neuen Anlauf weckt.
In genau diese Kerbe schlägt Ravenswatch vom französischen Entwicklerstudio Passtech Games, das im April 2023 in den Early Access startete und am 26. September 2024 seinen Full Release feierte. Statt griechischer Mythologie geht es bei der Rabenwacht in die Welt der Märchen. Neben den bereits erwähnten Rotkäppchen und dem Bösen Wolf stehen uns hierbei auch Figuren wie Aladdin, die Schneekönigin, Geppetto oder Beowulf als spielbare Held*innen zur Auswahl.

Die wilde Monsterhatz bedient das Prinzip der Rogue-lites ganz klassisch: Über den Verlauf eines jeden Runs werden wir stärker, sammeln Items und Fähigkeiten, die wir verbessern können, und besiegen immer größere Abscheulichkeiten. Wo uns beispielsweise Hades unsere Lebenspunkte als limitierenden Faktor gibt und uns von Arena zu Arena schickt, ist bei Ravenswatch die Zeit unser größter Gegner. In den offenen Gebieten haben unsere Avatare nur 18 Minuten, um sich für den Endboss zu rüsten, der am Ende jeder Stage auf uns wartet. Wird besagter Boss besiegt, geht es in den nächsten der insgesamt 4 Akte. Sterben wir allerdings zu häufig und haben keine der Wiederbelebungsfedern mehr, ist der Run vorbei.
Ganz bei Null starten wir aber zum Glück nicht. Denn zum einen schalten wir zu Beginn die restlichen acht der insgesamt elf Märchenfiguren frei. Anfangs waren es übrigens nur neun, ein kostenloser DLC fügte am Valentinstag 2024 das Liebespaar Romeo und Julia hinzu. Zum anderen sammeln unsere Recken Erfahrungspunkte, die ihrerseits neue Fähigkeiten mit sich bringen. Das kann zwar gerade zu Beginn etwas nervig sein, weil wir jeden Charakter quasi mit angezogener Handbremse spielen, aber gleichsam motivierend, da auch ein gescheiterter Run neue Optionen mit sich bringt.
Das Spielprinzip bleibt simpel und macht genau deshalb ordentlich Spaß. Man merkt, dass Passtech Games sich Gedanken gemacht hat, wie sich die Stärken des Genres gut nutzen lassen, ohne zu austauschbar zu werden. So sind die Karten zwar offen gestaltet, doch werden die Gegner anspruchsvoller, je weiter wir uns von unserem Startpunkt entfernen. Wer jedoch alle Gegner im Startgebiet umknüppelt, verpasst das wertvolle Loot, das die Fähigkeiten oder Werte unserer Held*innen verbessert. Es ist also Abwägungssache, wie weit wir wann vordringen, was wir einsammeln und was wir vielleicht besser liegen lassen.

Ein weiterer Punkt, der unsere Erkundungen beeinflusst, ist der Tag-Nacht-Wechsel. Denn innerhalb der 18 Minuten vergehen drei Tage und Nächte. Während manche Monster in der Nacht schlafen, erwachen stattdessen die bösen Geister. Dadurch verändert sich die an und für sich statische Welt durchgängig – und auch unsere Charaktere. Denn während wir am Tag mit dem zierlichen, dolchschwingenden Rotkäppchen (nur echt mit französischem Akzent) umherschleichen, verwandelt sich das Mädchen nach Sonnenuntergang in den Bösen Wolf, der ganze Gegnerhorden verspeist.
Generell sind die Charaktere abwechslungsreich gestaltet, und jedes Erfahrungslevel schaltet ein wenig Hintergrundgeschichte frei … die ich ehrlicherweise nicht gelesen habe. Es gibt eine Story und kurze Zwischensequenzen, aber who cares. Am Ende ist sie eh nur dafür da, die Spielmechaniken zu rechtfertigen. Während also Rotkäppchen die Rollenspieldualität aus Schurke und Tank vereint, kann der Rattenfänger von Hameln Gegnern die Lebenspunkte runterdudeln und Rattenschwärme auf sie loslassen. Vampirlady Carmilla stürzt sich dagegen mit ihren Fängen auf ihre Ziele, während Sun Wukong mit seinem Stab verheerenden Flächenschaden austeilt.
Gleichzeitig kann jeder Charakter durch die Fähigkeiten nochmals spezialisiert werden: Soll Beowulf mit seinem Schild lieber viel Schaden aushalten und ihn auf seine Gegner zurückwerfen? Oder lieber mit seinem Schwert einen größeren Bereich treffen und Feinde mit seinem Drachling Feuer entgegenblasen? Die Kombinationsmöglichkeiten sind vielseitig, gleichwohl sollte man sich eher darauf verlegen, nur eine der jeweils drei Fähigkeiten (Macht, Spezial und Blocken) zu vertiefen.



Das wirft auch die Frage des Balancings auf, die ich mit meinen ca. 70 Stunden nicht abschließend beantworten kann. Während ich bei manchen Runs auf dem zweithöchsten der insgesamt vier Schwierigkeitsgrade keine Probleme hatte, scheiterte ich bei anderen schon am ersten Boss. Das kann, Rogue-like-üblich, auch einfach Pech gewesen sein, aber manche Charaktere und ihre Builds fühlen sich deutlich schwächer als andere an.
Das liegt auch daran, dass die Gegenstände in vier Raritätsstufen zufallsbasiert als Loot auftauchen. Während uns beispielsweise das Ogerblut +1 Schaden für alle 10 Lebenspunkte, die wir haben, gibt uns der Nibelungenring eine zusätzliche Aufladung für unsere ultimative Fähigkeit. Wer Pech hat und trotz Rerolls nicht das findet, was er oder sie braucht, guckt in die Röhre – aber so läuft nun mal das Genre.
Während man das eigene Glück nicht beeinflussen kann, lässt sich zumindest vor dem Start der Runde festlegen, auf welchem der vier Schwierigkeitsgrade man spielen möchte. Wer bis zum finalen Boss kommen will, muss schon den Darkness-Schwierigkeitsgrad (3/4) auswählen, ansonsten endet der Run am Ende des dritten Akts (1/4) oder vor dessen Tür (2/4). Man kann sich zudem Hilfe in Form von bis zu drei Mitspielern holen und das Spiel im Koop spielen. Das war auch der Grund, weshalb ich es überhaupt auf der Festplatte hatte.

Halten wir also bis hierher fest: Das Spiel macht Spaß, ist abwechslungsreich und bietet Langzeitmotivation – das nötige Durchhaltevermögen vorausgesetzt. Was gibt’s noch? Die Grafik ist im stimmungsvollen Comiclook gehalten, die Gegner präsentieren sich in angenehmer Vielfalt und unterscheiden sich deutlich. Während wütende Schweinemonster uns gemächlich hinterhertrotten und am Tag nach ihrem Ableben explodieren (ja wieso auch nicht?), spießen sie uns nachts mit ihren fiesen Speeren auf. Dem gegenüber heilen Geister andere Monster und Krabben müssen wir erst auf den Rücken drehen, bevor wir sie verletzen können.
Begleitet wird das Ganze von einem atmosphärisch düsteren Fantasy-Soundtrack, der zwar keine Preise gewinnt, aber auch nicht negativ auffällt. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht weiter ins Detail gehen, denn am meisten Spaß macht bei solchen Games ja das Entdecken und Lernen neuer Mechaniken. Deshalb komme ich fix zu meinen Kritikpunkten, derer da wenige sind.
Zum einen sind wohl die fehlenden Quality-of-Life-Features zu nennen, die der einzige Indikator dafür sind, dass es sich hier nach wie vor um ein Indiespiel handelt. So fehlt zum Beispiel eine Übersicht unserer bisherigen Runs. Womit haben wir am meisten Schaden ausgeteilt, wo waren wir am schnellsten, welche Kombination hat gar nicht funktioniert? All das können wir nur am Ende des jeweiligen Runs sehen, später nicht mehr.



Generell ist das Außerhalb des Spiels wohl der größte Schwachpunkt von Ravenswatch. Wenn wir einen Run starten, sind wir in diesem Run. Mehrere Durchläufe gleichzeitig gehen nicht. Nicht einmal eine Trennung zwischen Single- und Multiplayer gibt es. Wer also gerade in seinem privaten Durchlauf ist, kann nicht kurz abspeichern und mit den Freund*innen daddeln, sondern muss entweder abbrechen oder sich ranhalten. Das ist super nervig und für mich unverständlich.
Ebenso komisch finde ich es, dass das Spiel mit lokalem Fortschritt arbeitet. Das funktioniert super, wenn Steam die Savegames richtig synct. Wer aber offline spielt oder an einem anderen Gerät weiterspielen möchte, muss sicherstellen, dass beide Versionen aktuell sind. Ansonsten (so mir geschehen) überschreibt man versehentlich einen Run und der Fortschritt ist weg. Das fühlt sich sehr unzufriedenstellend an. Auch dass Multiplayerpartien nach einem Boss nicht gespeichert und später fortgesetzt werden können, nervt. Im Singleplayer geht das nämlich. Sollte also mal ein*e Mitspieler*in bei einem Match rausfliegen, gibt es keine Möglichkeit des Wiedereinstiegs – schade!

Fazit
Aber das sind alles verschmerzbare Punkte, wenn das eigentliche Spiel funktioniert. Das tut Ravenswatch. Was ebenfalls positiv erwähnt werden sollte, ist die Preispolitik des Entwicklerstudios. Während im April Shakespears Liebespaar kostenlos (!) der Held*innenriege hinzugefügt wurde, kam heute, genau an dem Tag, als ich diese Review schreibe, ein neues Inhaltsupdate raus. Das führt einen neuen Encountertyp ein, poliert die Quests in Akt 2 und 3 etwas auf und verändert das System so, dass wir nach Ablauf der Zeit nicht automatisch zum Boss teleportiert werden, sondern noch weiter erkunden können … mit dem Risiko, dass das Albtraum genannte Obermonster noch stärker wird.
Ich kann also so gut wie nichts Negatives sagen und hatte bisher sehr viel Spaß mit dem Game – solo wie mit Freunden. Mit aktuell 50 Prozent Rabatt liegt das Spiel bis zum 24. September zudem statt bei 24,99 lediglich bei knapp 13 Euro, was ein absolut fairer Deal ist. Wer das Genre mag und genug Leute mobilisiert bekommt, kann hier einen Haufen Mehrspielerspaß haben. Nur stressresistent sollte man mit der gnadenlos tickenden Uhr sein!


