Papers, Please
Papers, Please
03.07.2025
Durchgewunken
Ich sitze an meinem Schalter. Es gibt nur mich und das Häuschen, drinnen und draußen. An der Wand hängen ein paar Bilder, Zeitungsschnipsel und Fahndungsbilder. Vor mir liegen zwei Stempel: Approved und Denied. Grün und Rot, Ja und Nein, in jedem Fall Verdammnis. Wie die Regentropfen an der Scheibe scheint die Zeit zu verrinnen. Ist es so dunkel, oder nur alle Farbe aus der Welt verschwunden? Zäh, gemächlich, verächtlich, verdächtig. Das Leben zieht an mir vorbei – nein, die Leben. Eine Reihe Menschen, die auf mich warten. Auf mein Urteil. Auf meine Gnade. So wie ich. Auch über mich wird entschieden.
Ein Mann tritt heran: lange, braune Haare, Ziegenbart. Eine Mischung aus Garry Oldman und … irgendwem. Mir fällt nichts ein. Meine Gedanken sind leer, der Monotonie der Macht erlegen. Er legt einen Aktenkoffer auf den Schalter, darin: ein Spiel. Papers, Please. Sein Erstlingswerk. Eine Simulation. Ein Meisterwerk? Eine Schande? Er schließt den Koffer wieder, es interessiert mich nicht. Es hat mich nicht zu interessieren.
Aus seinem Mantel holt er einen Ausweis: Lucas Pope. Amerikaner. Entwickler und … Komponist? Etwas regt sich in mir. Musik. Da – es bewegt sich etwas. In der Schlange, während die Blicke verstohlen hinter dem Mann auftauchen. Aber auch in meinem Gedächtnis. Ich schließe meine Augen. Musik. Klänge. Soundtracks … da war etwas. Ich erinnere mich. Langsam, wie zäher Honig, tropfen die Gedanken in meinen ausgehöhlten Geist. Videospiele. Soundtracks. Das ergab Sinn! Etwas ergab wieder Sinn!
Als ich meine Augen aufmache, sehe ich es, so klar, als wäre der Regen einem Schleier gleich gewichen: Videospiel-Soundtracks. Ich ziehe den überraschten Mann über den Tresen des Schalters und ignoriere das Starren der Wachen und Überwachten. „Was hast du dabei?“, flüstere ich dem Mann ins Ohr. Er riecht nach einem simplen Duft, der Indie-Entwickler zu schreien scheint. „Drei Tracks“, erwidert er, während er sich von mir löst und den Regen vom vorderen Teil seines Mantels klopft. „Drei“, erwidere ich hohl. „Mehr nicht?“ „Mehr nicht.“
‚Drei können funktionieren‘, kreisen die Gedanken in meinem Kopf. ‚Drei. Dreifaltigkeit. Drei Musketiere. Drei gesunde Mahlzeiten. Drei-‘ Die Gedanken enden. „Zeig sie mir“, flüstere ich fast bettelnd. „Nur, wenn du mich passieren lässt.“ Da war sie, die Bedingung. Es gab nichts umsonst in diesem Leben. Keine Freiheit, nicht mal den Tod. Ich zögere. „Einen jetzt, die anderen, wenn ich drüben bin.“ Es war zu verlockend. Noch bevor der Schleier der Gedanken reißt, fliegt der grüne Stempel nieder. Der Mann lächelt überlegen. Er weiß, dass er es verdient hat; dass er es jederzeit wieder tun kann.
Ich blicke den Track an: Papers, Please. Einfach, simpel, bescheiden. Autoritär und gleichförmig. Dann wieder schnell, fast schon aufmüpfig. Ein steter Bläser-Beat, der irgendwann durch Synthies ergänzt unnachgiebig die Kommunismus-Keule schwingt. Das Fließband wird schneller, alles zu viel. Alles vorbei.
Als ich aufblicke, ist der Mann bereits verschwunden. Auf dem Tresen liegen die restlichen Stücke: Victory und Death. Erfolg und Versagen. Das eine ein euphorisches Klavier mit deplatziert wirkendem Gedudel, das einen Sieg feiert, der keiner ist und mir nicht gehört. Dem gegenüber tanzt Death auf meinem Grab, feiert mit ebenso falscher Freude meinen Untergang. Erinnerungen blitzen auf: an There Is No Game: Wrong Dimension. An Workers & Resources: Soviet Republic. Vertraut. Bekannt. Verdaut. Verbraucht.
Mir wird klar, dass ich nicht gewinnen kann. Niemand kann das. In diesem Spiel, in diesem Hamsterrad der Vergänglichkeit. Steter Tropfen höhlt den Stein. Der Regen ist wieder da, die Musik nach einer Handvoll Minuten verschwunden. War es das wert? War ich es wert? Der Wärter?





