Tom Clancy’s Splinter Cell: Chaos Theory
Unerwartet
Doch nicht nur spieltechnisch konnte Chaos Theory überzeugen. Als erster (und meines Wissens einziger Score der Serie) bekam das Spiel einen richtigen Original Soundtrack spendiert. Dem Splinter Cell-Wiki zufolge war man bei Ubisoft von der Arbeit des brasilianischen Musikers Amon Tobin so begeistert, dass man den Score ein paar Monate vor dem Release des Spiels auf den Markt brachte – und das zu recht!
Wie ich beim ersten Splinter Cell und Pandora Tomorrow bereits anmerkte, waren deren Scores schon ganz okay, unterlagen durch die Einteilung in Schleich- und Schießstücke jedoch dem Fluch des Gamerips, beispielsweise in Form von Maximallängen der einzelnen Lieder. Auch wenn Tobins Werke im eigentlichen Spiel in einzelne Sequenzen aufgeteilt werden, blieben sie im fertigen OST am Stück. Das Ergebnis ist der erste Score, den man so richtig als Splinter Cell-Album betiteln kann. Aber wie klingt das denn jetzt?
Um die zehn Lieder technisch zu beschreiben, zitiere ich kurz aus dem Splinter Cell-Wiki:
Dieses Album zeigt den Übergang Tobins vom Sammeln bestehender Vinyl-Samples zur Aufnahme eigener Samples. Für die Aufnahmen zu Splinter Cell: Chaos Theory – Splinter Cell 3 Soundtrack engagierte Tobin eine Live-Band, deren Mitglieder vom mexikanischen Komponisten Nacho Mendez bis zum japanischen Flötisten Eiji Miyake reichten. Der Komponist Jesper Kyd wurde auch für die Filmsequenzen des Spiels angeheuert.
Samples, mexikanische Komponisten und japanische Flöten – klingt wie eine wilde Mischung. Und das ist es auch! Aber im besten Sinne. Das wird direkt beim ersten Stück und meinem persönlichen Highlight dieses Scores deutlich: The Lighthouse. Dieser Track hat es nicht nur in meine allererste Liste der Top 100 Videospiel-Tracks geschafft, sondern zeigt auch hervorragend die kreative Verschmelzung Tobins von unterschiedlichen Stilrichtungen mit der Geheimagenten-DNS.
Von außen betrachtet ist das The Lighthouse recht simpel aufgebaut. Wie bei einer Theatervorstellung treten musikalische Akteure in den Vordergrund, dominieren das Gehörte für einen kurzen Moment und machen dann Platz für etwas Neues. Am Ende der fünf Minuten möchte man gar nicht glauben, dass es noch das verhaltene Stück vom Anfang ist, wäre da nicht diese Melodie auf der Gitarre, die uns mit Ausnahme von ein paar Breaks durchgängig begleitet … doch ich greife vorweg.
Zunächst startet es mit einer Geige, die dramatisch eine Note wiederholt. Dahinter kreischen einzelne Sounds – ist das ein Horrorspiel? Die Nackenhaare stellen sich auf, bis plötzlich diese E-Gitarre (oder Bass?) einsetzt. Durudum dum dum didadudum … eine simple Notenfolge, ein einfaches Sample, das durchläuft und antreibt. Die Melodie geht weiter, wird mal distorted, dann etwas verändert, aber die Gitarre bleibt, schreitet unbeirrt voran, während um sie herum musikalisches Chaos tobt. Ist das ein Sonar? Hören wir hier etwas aus den vorherigen Splinter Cells? Keine Ahnung, aber es passt!
Das Drumherum wird lauter, schriller. Die Disharmonien setzen ein und auf einmal bricht ein Schlagzeug drauf los – wir kämpfen ums Überleben. Das alles wirkt so anarchisch, ergibt jedoch im Kontext des Spiels und aufgeteilt in die verschiedenen Phasen des Gameplays (Schleichen vs. Schießen) natürlich Sinn. Trotzdem funktioniert es genauso gut zusammenhängend – oder vielleicht noch besser. Der Track gibt uns keine ruhige Minute, lässt uns nur wenige Sekunden Luft holen und verebbt dann unvermutet.
Man merkt einfach, dass nicht mehr die Pandora Tomorrow-Crew am Werke war, sondern ein im Elektro beheimateter DJ auf das Genre des Agententhrillers losgelassen wurde. Für gewöhnlich wäre das so gar nicht meins. Andere mögen beispielsweise die funky freshe Musik eines Jet Set Radios feiern oder die psychidelische Repetition eines Songs von Moby. Und es gibt natürlich auch Stücke, die mich weniger umhauen (The Clean Up). Da das Album allerdings mit gerade einmal zehn Tracks daherkommt – elf wenn man den Bonus-Track Stolen hinzurechnet – fällt ein Brecher wie The Lighthouse nun einmal auch mehr ins Gewicht.
Kommen wir zum Fazit: Obwohl Chaos Theory spieltechnisch eine Verfeinerung der Vorgänger darstellt, ist es musikalisch wohl eher als experimentell zu bezeichnen. Ein Experiment, das es durchaus wert ist, mal gehört zu werden – besonders, weil man es bei einer Reihe wie Splinter Cell nun mal nicht erwarten würde.
Nostalgiewarnung
Nr. | Titel | Interpret(en) | Bewertung |
---|---|---|---|
01 | The Lighthouse | Amon Tobin | |
02 | Ruthless | Amon Tobin | |
03 | Theme from Battery | Amon Tobin | |
04 | Kokubo Sosho Stealth | Amon Tobin | |
05 | El Cargo | Amon Tobin | |
06 | Displaced | Amon Tobin | |
07 | Ruthless (Reprise) | Amon Tobin | |
08 | Kokubo Sosho Battle | Amon Tobin | |
09 | Hokkaido | Amon Tobin | |
10 | The Clean Up | Amon Tobin | |
11 | Stolen [Bonus] | Amon Tobin |